Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
Verdächtigenliste.«
Michelle zuckte zusammen, als habe man ihr einen Stich versetzt. »Warte mal, Sean! Vielleicht ist es ja völlig absurd, aber hör erst mal zu.« Er sah sie erwartungsvoll an. »Also: Jorst gibt zu, dass er im Fairmount war. Er ist verliebt in Regina Ramsey. Könnte er nicht derjenige gewesen sein, der Ramsey zu dem Attentat auf Ritter überredet hat? Er wusste schließlich genau, wie sehr Ramsey Ritter hasste. Er war sein Freund und Kollege. Ramsey hätte auf ihn gehört.«
»Aber Kate meinte, der Mann, den sie gehört hat, sei nicht Jorst gewesen.«
»Diese Aussage ist nicht hundertprozentig sicher. Jorst könnte seine Stimme ein wenig verstellt haben, weil er wusste, dass Kate im Haus war. Gehen wir also mal davon aus, Jorst und Ramsey haben sich verbündet. Beide fahren zum Hotel, beide sind bewaffnet.«
King nahm den Faden auf und spann ihn weiter. »Und Ramsey schießt, Jorst aber nicht. Er macht sich davon, versteckt seine Waffe in der Besenkammer, wobei er von Loretta Baldwin beobachtet wird, und dann rast er los und erzählt alles brühwarm Mutter und Tochter Ramsey.«
»Mit dem Hintergedanken, eines Tages die Witwe zu heiraten.«
»Allerdings hat er sich mit seinem Antrag ziemlich lange Zeit gelassen«, wandte King ein.
»Vielleicht hat er sie ja schon früher mal gefragt, und sie hat Nein gesagt. Oder er hat absichtlich so lange gewartet, um keinen Verdacht mehr zu erregen. Kann auch sein, dass es so lange gedauert hat, bis Regina seine Liebe erwiderte.« Michelle sah King nervös an. »Also, was hältst du davon?«
»Klingt schlüssig, Michelle, wirklich. Aber dann ist Regina gestorben. Jorst hat sie am Ende doch nicht bekommen.«
»Glaubst du wirklich, sie wurde ermordet?«
»Wenn man Jorst Glauben schenkt und sie wirklich heiraten wollten – dann stellt sich in der Tat die Frage, warum sie sich hätte umbringen sollen.« Langsam fuhr er fort: »Außerdem wusste Kate von der geplanten Heirat. Und Jorst behauptet, sie sei damit einverstanden gewesen.«
»Und wenn sie ’s doch nicht war?«, überlegte Michelle.
»Wie meinst du das?«
»Kate hat ihren Vater geliebt. Wenn ihre Mutter ihn nicht verlassen hätte, dann hätte er Ritter möglicherweise gar nicht erschossen. Das hat sie mir erzählt. Aber er hat es nun mal getan, und nun ist er tot. Dann will ihre Mutter plötzlich einen Kollegen ihres Vaters heiraten – doch ehe es dazu kommt, stirbt sie.«
»Soll das heißen, Kate hätte ihre Mutter umgebracht?«
Michelle hob die Hände. »Ich stelle es als These in den Raum, das ist alles. Ich will es eigentlich nicht glauben. Ich mag Kate.«
King seufzte. »Das Ganze kommt mir vor wie ein aufgeblasener Luftballon. Du schlägst auf einer Seite drauf, und auf der anderen erscheint eine Beule.« Er sah Michelle an. »Hast du die Chronologie zusammengestellt, um die ich dich gebeten hatte?«
Michelle nickte und zog einen Notizblock aus ihrer Handtasche. »Arnold Ramsey wurde 1949 geboren. Er hat 1967 die Schule abgeschlossen und im gleichen Jahr noch in Berkeley mit dem Studium angefangen. Dort hat er 1974 promoviert und im selben Jahr auch Regina geheiratet. Dann haben sich die beiden mehr schlecht als recht durchgeschlagen, bis er 1982 den Lehrstuhl am Atticus bekam. Da war Kate ein Jahr alt.« Michelle hielt inne und sah King an. Er grübelte über irgendetwas nach. »Was geht dir im Kopf herum?«
»Also, nach allem, was Kate uns erzählt hat, soll Ramsey in einen Zwischenfall bei einer Vietnam-Demo verwickelt gewesen sein, bei dem angeblich ein Polizist ums Leben kam. Damit fingen Ramseys Probleme an. Außerdem hat sie uns erzählt, Berkeley hätte ihn sozusagen widerwillig promovieren lassen müssen, weil er schon alle Scheine hatte und seine Doktorarbeit fertig war. Der besagte Zwischenfall müsste sich also um die Zeit seiner Promotion ereignet haben.«
»Richtig. Und?«
»Aber wenn er erst 1974 promoviert wurde, dann hätte er nicht mehr gegen den Vietnamkrieg demonstriert. Anfang 1973 hat Nixon das Waffenstillstandsabkommen unterzeichnet, und obwohl es auf beiden Seiten immer wieder von Heckenschützen gebrochen wurde, ist der Krieg erst 1975 wieder aufgeflammt. Wenn sich aber der Zwischenfall deutlich vor Ramseys Promotion ereignet hat, dann hätte ihn Berkeley garantiert ohne viel Federlesens rausgeworfen.«
Michelle ließ sich in ihrem Sitz zurücksinken. »Wahrscheinlich hast du Recht.«
»Wenn aber Ramsey 1974, als der Polizist getötet wurde, nicht
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