Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
aus meiner selbstlosen Handlungsweise halte ich für völlig unangebracht.«
King schob sich dicht an den Mann heran. »Warum sind Sie an jenem Vormittag zum Hotel gefahren? Hatten Sie auch eine kleine Abrechung mit Ritter vor?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Warum also?«, fragte King nach.
»Er war ein Präsidentschaftskandidat. Von denen lässt sich bei uns hier nur selten jemand blicken. Ich wollte mir selbst einen Eindruck von ihm verschaffen. Das gehört schließlich zu meinem Fach.«
»Und wenn ich nun behaupte, dass Sie uns einen totalen Bockmist auftischen?«, konterte King.
»Ich schulde Ihnen keine Erklärung«, schoss Jorst zurück.
King zuckte mit der Schulter. »Da haben Sie Recht. Wir schicken Ihnen das FBI und den Secret Service her, dann können Sie ’s denen erzählen. Dürfen wir mal Ihr Telefon benutzen?«
»Moment mal!«
King und Michelle sahen Jorst erwartungsvoll an.
»Also gut, also gut«, sagte der Professor rasch und schluckte mehrmals nervös, während seine Blicke von einer zum anderen glitten. »Sehen Sie, ich machte mir Sorgen um Arnold. Er hatte sich unglaublich aufgeregt über Ritter. Ich hatte Angst, er könne Dummheiten machen. Bitte glauben Sie mir, dass ich dabei keine Sekunde lang dachte, er könne den Mann töten wollen. Bevor der Schuss fiel, hatte ich nicht mal gewusst, dass er eine Waffe besaß. Das kann ich beschwören.«
»Weiter«, sagte King.
»Er wusste gar nicht, dass ich auch da war. Ich bin ihm nachgefahren, denn er hatte mir erst am Abend zuvor erzählt, dass er sich Ritters Auftritt ansehen wolle. Ich hab mich im Hintergrund gehalten. Es waren so viele Leute da, dass er mich gar nicht bemerkt hat. Arnold hielt sich fern von Ritter, und ich dachte schon, meine Sorgen wären übertrieben gewesen. Ich wollte schon wieder gehen und drängte mich zur Tür durch. Und da muss er, ohne dass ich davon etwas mitbekam, auf Ritter zugegangen sein. Ich habe mich nur einmal umgedreht und zwar, als ich schon an der Tür stand. Genau in diesem Augenblick sah ich Arnold die Waffe ziehen und schießen. Ich sah, wie Ritter zu Boden ging, und dann sah ich, wie Sie geschossen und Arnold getötet haben. Danach geriet alles außer Rand und Band. Ich bin losgerannt, so schnell ich konnte. Und ich bin deshalb so schnell aus dem Hotel gekommen, weil ich ja schon an der Tür stand. Ich erinnere mich, dass ich dabei beinahe ein Zimmermädchen über den Haufen gerannt hätte. Das stand ebenfalls an der Tür.«
Michelle und King wechselten unwillkürlich einen Blick: Das war Loretta Baldwin.
Jorsts Gesicht war mittlerweile aschfahl, doch er fuhr fort: »Ich konnte zuerst gar nicht begreifen, was da passiert war. Es kam mir vor wie ein Alptraum. Ich bin einfach zu meinem Wagen gerannt und davongerast. Und ich war nicht der Einzige. Viele andere haben sich ebenfalls aus dem Staub gemacht.«
»Sie haben der Polizei niemals davon erzählt?«
»Was hätte ich ihr denn erzählen sollen? Ich war dort, sah, was passierte, und lief davon, genau wie Hunderte anderer. Es ist ja nicht so, dass die Behörden auf meine Aussagen angewiesen gewesen wären.«
»Sie sind dann also zu Mrs Ramsey gefahren und haben ihr alles erzählt. Warum?«
»Warum! Um Himmels willen, ihr Mann hatte grade einen Präsidentschaftskandidaten ermordet und war gleich drauf selber erschossen worden! Natürlich musste ich ihr das sagen. Können Sie das denn nicht verstehen?«
King zog die Fotografie aus der Tasche, die er im Gästebad gefunden und mitgenommen hatte, und reichte sie Jorst. Dessen Hände zitterten, als er sie entgegennahm und auf das lächelnde Gesicht Regina Ramseys hinabsah.
»Doch, ich glaube schon, dass ich es verstehen kann«, sagte King ruhig. »Vor allem, wenn Sie damals in Regina Ramsey verliebt waren.«
KAPITEL 54
»Also, was meinst du?«, fragte Michelle, als sie sich in Kings Wagen auf den Heimweg machten.
»Durchaus möglich, dass er die Wahrheit sagt. Und durchaus möglich, dass er auch dran dachte, als Erster die schöne arme Witwe zu trösten. Er konnte vom Tod seines Freundes profitieren und gleichzeitig den barmherzigen Samariter spielen.«
»Dann ist er ein schamloser Opportunist. Aber nicht unbedingt ein Mörder.«
»Ich weiß nicht recht. Man muss ihn auf jeden Fall im Auge behalten. Es gefällt mir gar nicht, dass er so viele Jahre lang verschwiegen hat, dass er am Tatort war und dass er Regina Ramsey heiraten wollte. Allein dadurch klettert er auf die vorderen Ränge meiner
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