Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
Familie hätte Wind von der Sache bekommen und käme ihm nun zu Hilfe.«
»Wissen Sie noch, wie die Kanzlei hieß?«, fragte Michelle.
Holmgren dachte kurz nach. »Nein. Zwischen damals und heute liegen einfach zu viele Jahre und zu viele Fälle.«
»Und diese Kanzlei hat es irgendwie erreicht, dass die Anklage fallen gelassen wurde?«
»Nicht nur das. Soweit ich hörte, haben sie es sogar geschafft, dass Akten und Aufzeichnungen über die Verhaftung vernichtet wurden, sämtliche Einzelheiten. Die Leute müssen echt gut gewesen sein. Wenn ich es damals mit der Regierung zu tun hatte, kam so etwas nur selten vor.«
»Sie sagten, bei der Staatsanwaltschaft habe es in jener Zeit einige Figuren gegeben, die nicht ganz sauber waren«, sagte King. »Vielleicht wurden ja ein paar Leute geschmiert, Anwälte und Polizisten.«
»Das könnte durchaus sein«, erwiderte Holmgren. »Ich meine, wer sich Fälle aus den Fingern saugt, ist sich sicher auch nicht zu schade, Bestechungsgelder zu nehmen und dafür einen Fall in der Versenkung verschwinden zu lassen. Der mit diesem Fall befasste Staatsanwalt war noch jung, wahnsinnig ehrgeizig, und mir kam er immer ein bisschen zu glatt vor. Aber er beherrschte das Spiel aus dem Effeff und hatte immer die nächsthöhere Stufe auf der Karriereleiter im Visier. Ich habe nie erlebt, dass er die Grenzen des Erlaubten überschritten hätte. Bei manchen seiner Kollegen war das durchaus nicht so. Ich weiß noch, wie sehr ich seinen Boss bedauert habe, der Jahre später, als der ganze Skandal aufflog, seinen Buckel dafür hingehalten hat. Billy Martin war ein guter Kerl. Der hatte das nicht verdient.«
Sprachlos vor Verblüffung starrten Michelle und King den einstigen Pflichtverteidiger an. King war der Erste, der seine Stimme wieder fand: »Und wie hieß der Staatsanwalt, der die Anklage gegen Arnold Ramsey erheben sollte?«
»Oh, den werde ich nie vergessen. Das war der Typ, der Präsident werden wollte und dann gekidnappt wurde. John Bruno.«
KAPITEL 59
Von Holmgren aus fuhren King und Michelle direkt zur Universität in Richmond. Im Center for Public Policy trafen sie Kate nicht an, aber es gelang ihnen, die Dame am Empfang zur Herausgabe von Kates Privatnummer zu bewegen. Sie riefen dort an, doch die Frau, die sich meldete, war Kates Mitbewohnerin. Sie hatte Kate seit dem Morgen nicht mehr gesehen und wusste nicht, wo sie war. Als Michelle fragte, ob sie vorbeikommen dürften, stimmte sie zögernd zu.
Unterwegs fragte Michelle King: »Glaubst du, Kate weiß über die Verbindung zwischen John Bruno und ihrem Vater Bescheid? Sag jetzt bitte nicht Ja. Das darf doch nicht wahr sein!«
»Ich habe das unangenehme Gefühl, dass du dich irrst.«
Sie fuhren zu Kates Wohnung und sprachen mit der Mitbewohnerin, die Sharon hieß. Zuerst wollte sie kaum den Mund aufmachen, doch als ihr Michelle ihre Dienstmarke unter die Nase hielt, zeigte sie sich deutlich kooperativer. Mit ihrer Erlaubnis sahen sie sich in Kates kleinem Schlafzimmer um, fanden jedoch nichts, das ihnen hätte weiterhelfen können. Kate las anspruchsvolle Werke. Die vielen Bücher in ihrem Zimmer hätten selbst die meisten Akademiker als zu anstrengend empfunden. Aber King fand auch noch etwas anderes: Auf dem obersten Ablagebrett im Schrank stand ein Karton, in dem sich ein komplettes Waffenreinigungsset sowie eine Schachtel mit Neun-Millimeter-Patronen befanden. Er warf Michelle einen ominösen Blick zu, und sie schüttelte traurig den Kopf.
»Wissen Sie, warum Kate eine Waffe besitzt?«, fragte er Sharon.
»Sie wurde mal überfallen. Zumindest hat sie mir das erzählt. Die Waffe hat sie vor sieben oder acht Monaten gekauft. Ich hasse es, so ein Ding im Haus zu haben, aber sie hat einen Waffenschein dafür und all das. Außerdem geht sie regelmäßig zum Schießtraining. Sie ist eine gute Schützin.«
»Tröstlich zu wissen. Hatte sie die Waffe bei sich, als sie heute Morgen das Haus verließ?«, fragte King.
»Das weiß ich nicht.«
»Sind hier mal Besucher für Kate aufgetaucht, die nichts mit der Uni zu tun hatten? Ein Mann zum Beispiel?«
»Soweit ich weiß, geht sie überhaupt nicht mit Männern aus. Sie ist ständig auf irgendwelchen Kundgebungen und Demonstrationen oder geht zu Stadtratssitzungen, um gegen irgendwas zu protestieren. Manchmal wird mir ganz schwindlig von all dem Zeug, das ihr im Kopf herumspukt. Ich schaffe es kaum, neben dem Studium noch meinen Freund glücklich zu machen, da kann ich mir
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