Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
nicht auch noch den Kopf über den Zustand der Welt zerbrechen, wissen Sie.«
»Das kann ich verstehen. Wir dachten vor allem an einen älteren Typ, schon über fünfzig vielleicht.« King beschrieb Thornton Jorst, doch Sharon schüttelte den Kopf.
»Glaub ich nicht. Obwohl ich sie ein paar Mal vor dem Haus aus einem Auto aussteigen sah. Den Fahrer konnte ich nicht erkennen, aber ich glaube, es war ein Mann. Als ich sie danach gefragt hab, war sie nicht sehr auskunftsfreudig.«
»Können Sie den Wagen beschreiben?«
»Ein Mercedes. Ein großer.«
»Also ein reicher Typ. Wann haben Sie das zum ersten Mal beobachtet?«, fragte Michelle.
»Vor neun oder zehn Monaten vielleicht. Ich erinnere mich deshalb noch daran, weil Kate nach ihrer Prüfung gerade angefangen hatte zu arbeiten. Sie hat nicht viele Freunde. Wenn sie sich mit irgendwem getroffen hat, dann bestimmt nicht hier. Aber sie ist ohnehin kaum zu Hause.«
Während des Gesprächs hielt Michelle das Waffenreinigungsset ans Ohr und schüttelte es. Sie hörte ein leises Klingeln. Sie schob ihre Finger hinein, zog einen kleinen Schlüssel heraus und zeigte ihn Sharon. »Haben Sie eine Ahnung, wofür der ist? Sieht aus wie für einen Speicher.«
»Es gibt so ein paar Verschläge im Keller«, antwortete Sharon. »Ich wusste gar nicht, dass Kate einen hat.«
Michelle und King gingen in den Keller, fanden die Verschläge, die nummeriert und mit Schlössern gesichert waren, verglichen die Nummern mit der Zahl auf dem Schlüssel und fanden schließlich den passenden. King knipste das Licht an, und sie sahen sich einem Stapel von Schachteln gegenüber.
King holte tief Luft und sagte: »Okay, das ist entweder ein totaler Reinfall oder eine Goldmine.«
Vier Schachteln später hatten sie ihre Antwort: Ordentlich geführte Alben zu zwei verschiedenen Themen. In dem einen ging es um das Attentat auf Clyde Ritter. King und Michelle fanden Dutzende von Zeitungsartikeln, auch einige Fotos, darunter mehrere von King selbst, zwei von einer viel jüngeren Kate Ramsey, die traurig und einsam aussah, und sogar eines von Regina Ramsey. Der Text auf den Seiten war mit Tinte unterstrichen.
»Nicht so ungewöhnlich, dass sie das alles gesammelt hat«, meinte Michelle. »Schließlich ging’s um ihren Vater.«
Das zweite Album erwies sich als sehr viel brisanter, denn es war eine ausführliche Dokumentation über John Bruno von seiner Zeit als junger Staatsanwalt bis hin zu seiner Präsidentschaftskandidatur. Zwei vergilbte Zeitungsartikel befassten sich mit den Untersuchungen zu den Korruptionsfällen, die der Generalstaatsanwaltschaft in Washington vorgeworfen wurden. Bill Martin war mehrmals genannt, John Bruno wurde mit keinem Wort erwähnt. Dennoch hatte Kate oben auf jede Seite »John Bruno« geschrieben.
»Au Backe«, sagte King, »es scheint, unsere kleine politische Aktivistin hat sich da auf eine ziemlich unappetitliche Sache eingelassen. Egal, ob zu Recht oder zu Unrecht – sie hat John Bruno das Etikett eines korrupten Strafverfolgers angehängt, der das Leben ihres Vaters zerstört hat.«
»Was mir nicht ganz einleuchtet«, sagte Michelle, »ist der Umstand, dass diese Artikel schon lange vor Kates Geburt gedruckt wurden. Wo hat sie die denn her?«
»Von dem Mann in dem Mercedes. Dem Kerl, der ihren Hass auf Bruno geschürt hat für das, was er ihrem Vater angetan hat…« King unterbrach sich, bevor er fortfuhr: »… oder nicht angetan hat. Vielleicht gibt sie Bruno sogar die Schuld an ihres Vaters Tod, so nach dem Motto: Als Professor in Harvard oder Stanford wäre er glücklich gewesen, seine Frau hätte ihn nicht verlassen, und er wäre niemals losgezogen, um einen Kerl wie Ritter zu erschießen.«
»Aber wozu das alles?«
»Aus Rache? Für Kate, für jemand anders, was weiß ich.«
»Wie passt das denn zu Ritter und Loretta Baldwin und all dem anderen?«
Frustriert hob King die Hände. »Verflixt, woher soll ich das wissen? Nur eines weiß ich genau: Kate ist nur die Spitze des Eisbergs. Und noch etwas wird mir jetzt klar.« Michelle sah ihn erwartungsvoll an. »Kate hat dieses Treffen mit uns inszeniert, um Thornton Jorst wieder ins Spiel zu bringen.«
»Du meinst, man hat sie dazu veranlasst? Um uns in die falsche Richtung ermitteln zu lassen?«
»Vielleicht. Vielleicht geschah es aber auch aus eigenem Antrieb und aus einem anderen Grund.«
»Vielleicht hat sie ja auch die Wahrheit gesagt«, ergänzte Michelle.
»Machst du Witze? Kein Mensch hat
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