Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
um.«
»Interessante Wortwahl. Neal Richards war ein guter Agent.«
»Auch das weiß ich!«, gab sie scharf zurück. »Konnte ich vielleicht ahnen, dass dieser Hilfspolizist in der Sache mit drinsteckt? Es gibt niemandem im Service, dem das mit Neal mehr an die Nieren geht als mir.«
»Sie hätten Bruno unter keinen Umständen allein in diesen Raum gehen lassen dürfen. Hätten Sie sich ganz einfach an die Grundregeln unseres Gewerbes gehalten, wäre nichts passiert. Zumindest hätte die Tür so weit offen bleiben müssen, dass Sie den Mann hätten im Auge behalten können. Man lässt seinen Schützling niemals aus den Augen, nie! Das ist in Dienstanweisung 101 klipp und klar ausgeführt.«
Michelle schüttelte den Kopf. »Im Einsatz, wenn es drunter und drüber geht, muss man manchmal eben Kompromisse schließen, um alle Beteiligten bei Laune zu halten.«
»Es ist nicht Ihr Job, die Leute bei Laune zu halten! Ihre Aufgabe ist es, für deren Sicherheit zu sorgen!«
»Wollen Sie damit sagen, es hat noch nie den Fall gegeben, dass sich eine Schutzperson allein in einem Raum aufhielt? Das ist doch eine Ermessensfrage, die der Agent oder die Agentin vor Ort entscheiden muss.«
»Ich sage nur, dass eine Ermessensentscheidung mit solchen Folgen wie im vorliegenden Fall ein absolutes Novum ist. Die Verantwortlichkeit ist klar, Michelle, da helfen keine Ausreden. Brunos Partei ist in hellem Aufruhr. Einige Idioten behaupten sogar, der Secret Service sei dafür bezahlt worden, den Kandidaten aus dem Verkehr zu ziehen.«
»Das ist doch absurd!«
»Das weiß ich genauso wie Sie, aber wenn man genug Leute hat, die so ein Gerücht herausposaunen, dann setzt es sich über kurz oder lang auch in der Öffentlichkeit durch.«
Michelle hatte während des Gesprächs auf der Stuhlkante gesessen. Jetzt lehnte sie sich zurück und sah Bishop an. Sie wirkte ruhig und gefasst.
»Dann sind wir uns also einig. Ich übernehme die volle Verantwortung für das, was geschehen ist. Meinen Leuten kann kein Vorwurf gemacht werden; sie haben sich lediglich an ihre Befehle gehalten. Ich war die Einsatzleiterin, und ich habe den Karren in den Dreck gefahren.«
»Gut, dass Sie das sagen. Mal sehen, was ich für Sie tun kann.« Er machte eine Pause, ehe er hinzufügte: »Dass Sie freiwillig den Dienst quittieren werden, kommt für Sie wohl nicht in Frage…«
»Nein, Walter, wirklich nicht. Und nur, damit Sie sich nichts vormachen: Ich werde mir einen Rechtsanwalt nehmen.«
»Ja, selbstverständlich werden Sie das tun! Wir sind ja in Amerika! In diesem Land kann sich jeder, der gescheitert ist, einen Anwalt nehmen und aus seiner eigenen Inkompetenz noch Geld rausschlagen! Ganz schön eingebildet, kann ich nur sagen.«
Michelle musste unvermittelt heftig blinzeln, um die Tränen zurückzuhalten. Die scharfe Zurechtweisung traf sie tief – zumal sie selbst bis zu einem gewissen Grade der Meinung war, sie verdient zu haben. »Es geschieht nur zu meinem eigenen Schutz, Walter«, sagte sie. »Wären Sie an meiner Stelle, Sie würden genauso handeln.«
»Ja, ja, da haben Sie Recht.« Bishop steckte die Hände in die Taschen und blickte demonstrativ zur Tür.
Michelle erhob sich. »Darf ich Sie noch um einen einzigen Gefallen bitten?«
»Natürlich dürfen Sie – obwohl dazu schon eine unglaubliche Unverfrorenheit gehört…«
»Da sind Sie nicht der Erste, dem so was auffällt«, gab Michelle kühl zurück. Bishop ersparte sich eine Antwort und sah sie erwartungsvoll an. »Ich würde gerne den gegenwärtigen Stand der Ermittlungen erfahren.«
»Der Fall liegt jetzt beim FBI.«
»Weiß ich. Aber der Secret Service muss auf dem Laufenden gehalten werden.«
»Wird er auch, aber diese Informationen sind den Mitarbeitern des Service vorbehalten.«
»Was so viel heißt wie: Ich gehöre nicht mehr dazu?«
»Jetzt hören Sie mir mal gut zu, Michelle. Ich war von Beginn an skeptisch, als der Service damals anfing, gezielt weibliche Mitarbeiter anzuwerben. Ich meine, da gibt man einen Haufen Geld aus, um so eine Agentin auszubilden – und dann heiratet sie plötzlich, kriegt Kinder und scheidet aus dem Dienst. Die ganze Ausbildung, das Geld, die Zeit – alles vergebliche Liebesmüh!«
Michelle glaubte, ihren Ohren nicht trauen zu können, verzichtete aber auf einen Kommentar.
»Als Sie dann an Bord kamen, da hab ich meine Meinung geändert. Dieses Mädchen, dachte ich, hat alles, was wir brauchen. Sie waren die Vorzeigefrau des Secret
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