Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
quasi ans Messer geliefert.« Zutiefst erschüttert barg Michelle ihr Gesicht in den Händen. Dann riss sie sich zusammen, schob sich eine Gabel voll Salat in den Mund und kaute so heftig darauf herum, dass ihr die Zähne wehtaten.
»Bevor sie mich dann aus dem Verkehr gezogen haben, bekam ich noch mit, dass Neal Richards mit einem Dumdum-Geschoss ermordet worden ist. Das heißt, selbst wenn wir eines Tages die mutmaßliche Tatwaffe finden sollten, wird es kaum möglich sein, den ballistischen Beweis zu führen.«
Die Freundin stimmte ihr zu und berichtete nun, dass der Lieferwagen in einer verlassenen Feldscheune gefunden worden war. Derzeit wurde er auf Fingerabdrücke und andere mikroskopische Spuren hin untersucht, doch bisher war noch nichts Wesentliches dabei herausgekommen.
Mildred Martin, die Frau des Verstorbenen, hatte man zu Hause angetroffen, wo sie in aller Seelenruhe im Garten arbeitete. Sie hatte geplant gehabt, das Bestattungsinstitut am Abend zusammen mit Familienmitgliedern und Freunden zu besuchen. Sie hatte John Bruno weder angerufen noch ihn gebeten, von dem Toten Abschied zu nehmen. Hätte Bruno jedoch, dessen Mentor und guter Freund ihr verstorbener Mann gewesen war, von sich aus diesen Wunsch geäußert, so hätte er jederzeit kommen können – so einfach sei das gewesen, meinte Mildred Martin gegenüber den ermittelnden Beamten.
»Aber warum hat Bruno dann seinen Terminplan in letzter Sekunde über den Haufen geworfen, bloß um Mrs Martin zu treffen?«, fragte Michelle. »Für uns kam das wie ein Blitz aus heiterem Himmel.«
»Seine Mitarbeiter berichten, Mildred Martin habe ihn am Vormittag angerufen und ihn gebeten, zu diesem Bestattungsinstitut zu kommen. Sein Stabschef Fred Dickers gab zu Protokoll, dass Bruno nach dem Anruf sehr aufgeregt gewesen sei.«
»Na ja, schließlich war ein guter Freund von ihm gestorben.«
»Aber Dickers sagte, Bruno sei schon vorher von Martins Tod informiert gewesen.«
»Dann steckt also deiner Meinung nach mehr dahinter?«, fragte Michelle.
»Wie man’s nimmt. Jedenfalls hat sie sich einen Zeitpunkt ausgesucht, zu dem nur wenige Leute in der Leichenhalle waren. Und dann waren da noch verschiedene Bemerkungen Brunos nach dem Anruf, die Dickers vermuten lassen, dass es bei dieser Begegnung um mehr ging als nur um eine letzte Reverenz gegenüber einem verstorbenen Freund.«
»Und das war dann vermutlich der Grund dafür, dass er mich mehr oder weniger genötigt hat, ihn da allein reingehen zu lassen.«
Die Freundin nickte. »Es ist anzunehmen, dass Bruno keine Mithörer bei seinem Gespräch mit der Witwe haben wollte – was immer sie ihm zu sagen hatte.«
»Aber Mildred Martin behauptet doch, sie habe ihn gar nicht angerufen.«
»Irgendjemand hat sich als Mildred Martin ausgegeben, Michelle.«
»Und wenn Bruno nicht gekommen wäre?« Sie beantwortete ihre Frage gleich selbst. »Dann wären die Entführer einfach wieder gegangen. Und wenn ich bei ihm geblieben wäre, hätten sie gar nicht erst versucht, ihn zu entführen, und Neal Richards…« Ihre Stimme war kaum noch zu verstehen. »Was gibt’s sonst noch Neues?«, fragte sie ihre Freundin.
»Wir glauben, dass die Tat von langer Hand geplant wurde. Ich meine, die Täter mussten eine Vielzahl von Schritten aufeinander abstimmen und haben die Sache dann absolut perfekt durchgezogen.«
»Ohne Informanten in Brunos Wahlkampftruppe ist das kaum vorstellbar. Woher sonst hätten sie seine Terminplanung kennen sollen?«
»Von seiner offiziellen Wahlkampf-Website zum Beispiel. Der Auftritt vor seinem Abstecher zum Bestattungsinstitut war ja schon eine ganze Weile vorher festgelegt worden.«
»Mist! Ich hatte ihn ausdrücklich darum gebeten, seine Termine nicht übers Internet bekannt zu geben. Eine Kellnerin in einem der Hotels, in dem wir übernachteten, wusste mehr über Brunos Reisepläne als wir, weil sie zufällig ein Gespräch zwischen ihm und seinem Stab mitbekommen hatte. Uns hat man immer erst in allerletzter Minute informiert.«
»Ich muss dir ehrlich sagen, ich weiß gar nicht, wie man unter solchen Umständen überhaupt noch ordentliche Arbeit leisten kann.«
Michelle blickte ihr in die Augen. »Und wenn man Brunos Mentor zum geeigneten Zeitpunkt hat sterben lassen? Ich meine, sein Tod war ja wohl das auslösende Ereignis.«
Ihre Freundin nickte bereits. »Bill Martin war schon ziemlich alt und litt an einer Krebserkrankung im letzten Stadium. Er ist nachts in seinem Bett
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