Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
Fragen und bekamen kaum Antworten. Zu ihren forensischen Beutezügen gehörte auch, dass sie von King, seinem Partner Phil Baxter sowie beider Sekretärin Fingerabdrücke abnahmen – um alle Eventualitäten auszuschließen, wie sie betonten. King wusste nur allzu gut, dass man das so oder so interpretieren konnte.
Auch die Lokalpresse war inzwischen eingetroffen. Glücklicherweise kannte er die Reporter alle persönlich; sie ließen sich ohne weitere Nachfragen mit den vagen Antworten, die er ihnen gab, abspeisen. Die überregionale Presse würde auch nicht mehr lange auf sich warten lassen, denn der Ermordete war für sie aus einem ganz bestimmten Grund hochinteressant. Dies jedenfalls vermutete King – und als plötzlich einige Herren vom U. S. Marshals Service vor seiner Tür standen, fand er seine Vermutung bestätigt.
Der Tote, ein gewisser Howard Jennings, war in Kings Anwaltskanzlei als Rechercheur, Korrektor und Verwalter von Treuhandkonten beschäftigt gewesen – eine Art Mädchen für alles sozusagen. Sein Büro befand sich im Untergeschoss des Kanzleigebäudes. Jennings war ein stiller, fleißiger Mann, der sehr zurückgezogen lebte. Wie er seinen Lebensunterhalt bestritt, war alles andere als außergewöhnlich – und doch war er in einem bestimmten Punkt ein hochinteressanter Fall.
Jennings war in das Zeugenschutzprogramm WITSEC aufgenommen worden. Der achtundvierzigjährige studierte Betriebswirt, dessen richtiger Name natürlich nicht Jennings lautete, war in früheren Jahren unter anderem als Erbsenzähler einer kriminellen Vereinigung im Mittleren Westen tätig gewesen, die sich im illegalen Glücksspiel tummelte, mit Erpressungen und Geldwäsche in Erscheinung trat und ihren Forderungen dadurch Nachdruck zu verleihen wusste, dass sie zahlungsunwilligen Opfern die Häuser anzündete und/oder sie zusammenschlagen, verstümmeln und gelegentlich sogar ermorden ließ. Ein hoch komplizierter Fall, der eben deswegen sowie aufgrund der oft tödlichen Brutalität der angewandten Methoden weit über die Region hinaus Aufmerksamkeit erregt hatte.
Jennings hatte bald erkannt, wohin der Hase lief, und entscheidend dazu beigetragen, dass eine Bande höchst gefährlicher Verbrecher im Knast landete. Einigen der Schlimmsten unter ihnen war es jedoch gelungen, durch die Maschen des landesweiten Fahndungsnetzes zu schlüpfen. Sie liefen nach wie vor frei herum, und deshalb war Jennings in das Zeugenschutzprogramm aufgenommen worden.
Jetzt war er tot, und King war klar, dass ihm dieser Fall noch eine ganze Menge Kopfzerbrechen bereiten würde. In seiner Zeit als Agent einer Bundesbehörde war er an diversen gemeinsamen Aktionen von WITSEC, dem Secret Service und den U. S. Marshals beteiligt gewesen. Nach dem Vorstellungsgespräch, den üblichen Fragen und der Überprüfung seiner Unterlagen war bei King der Verdacht entstanden, Jennings könne ein WITSEC-Mann sein. Sicher war er sich dessen nicht, denn die Verantwortlichen hätten ihm niemals die Identität eines ihrer Schützlinge enthüllt. Dennoch war der Verdacht geblieben, ein Verdacht, den King allerdings niemals laut geäußert hatte. Er gründete sich auf den auffallenden Mangel an Referenzen, die Jennings vorgelegt hatte, sowie auf Lücken in seinem Lebenslauf. Solche Dinge deuteten darauf hin, dass jemand versucht hatte, sein früheres Leben vollkommen auszulöschen.
King galt nicht als Tatverdächtiger im Fall Jennings. Jedenfalls sagte man ihm das – und das bedeutete natürlich, dass er für die Ermittler ziemlich weit oben auf ihrer Liste stand. Wenn ich ihnen erzähle, dass ich Jennings für einen WITSEC-Mann halte, stehe ich womöglich bald vor einem Geschworenengericht, dachte er und beschloss, bis auf Weiteres den Dummen zu spielen.
Den Rest des Tages verbrachte er damit, seinen Partner zu beruhigen. Baxter war ein großer, bulliger Ex-Football-Spieler, der nach einer erfolgreichen Sportkarriere zu einem aggressiven, hoch qualifizierten Strafverteidiger avanciert war. An Leichen in seinem Büro – eine alles andere als angenehme Form des »sudden death« – war er freilich nicht gewöhnt. King dagegen hatte im Secret Service jahrelang mit Geldfälschern und Betrügern im Bereich der organisierten Kriminalität zu tun gehabt und im Dienst auch schon Menschen getötet. Von daher konnte er mit einem Mordfall erheblich besser umgehen als sein Partner.
Mona Hall, die Dame vom Empfang, hatte er nach Hause geschickt. Sie war vom Typ her eher
Weitere Kostenlose Bücher