Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
mir ja vielleicht auch beibringen, wie man einen Katamaran segelt«, fügte Joan leise hinzu. »Davon hab ich nämlich keine Ahnung.«
KAPITEL 21
Loretta Baldwin lag in der Badewanne und ließ sich vom heißen Wasser die fröstelnden Glieder wärmen. Im Badezimmer war es dunkel – so mochte sie es, kuschelig wie im Mutterschoß. Sie lachte leise in sich hinein. Es ließ sich einfach nicht unterdrücken, wenn sie daran dachte – an die junge Frau, die sie besucht hatte und angeblich einen Film über Clyde Ritter drehen wollte, als ob das irgendwen interessieren würde. Das Mädchen war wahrscheinlich von der Polizei oder von einer Privatdetektei. Loretta konnte nicht begreifen, warum jemand diese alte Clyde-Ritter-Geschichte wieder aufwärmen wollte. Doch ganz egal, sie würde jeden Cent des Geldes, das dabei für sie heraussprang, ohne mit der Wimper zu zucken annehmen. So wie sie all die Jahre lang Geld genommen hatte. Die Fragen der jungen Frau hatte sie übrigens alle korrekt beantwortet – der springende Punkt war nur, dass sie nicht die richtigen Fragen gestellt hatte! Zum Beispiel die Frage, was Loretta gesehen hatte, als sie sich in der Besenkammer verbarg. Und welche Nerven es sie gekostet hatte, das Ding aus dem Hotel herauszuschmuggeln. Aber in dem Chaos nach dem Attentat hatte kein Mensch auf Loretta Baldwin geachtet. Sie war eben nur ein Zimmermädchen, eines von vielen, und daher nahezu unsichtbar. Dabei kannte sie Schleichwege aus dem Hotel, von denen selbst der Secret Service nichts wusste.
Zuerst hatte sie mit dem, was sie gefunden und gesehen hatte, zur Polizei gehen wollen, doch bald schon ihre Meinung geändert. Warum sich mit Behörden und dergleichen abgeben? Außerdem war sie es leid, ihr Leben damit zu verschwenden, den Dreck anderer Leute wegzuputzen. Und was diesen Clyde Ritter betraf, so hielt sie ohnehin nichts von ihm. Ein Kerl wie der war im Grab weit besser aufgehoben, weil er dort sein Gift nicht mehr versprühen konnte.
Sie hatte es also getan. Sie hatte diesem Menschen einen anonymen Brief geschickt, in dem sie ihre Beobachtungen schilderte, zum Beweis eine Fotografie beigelegt und schließlich den Zahlungsmodus festgesetzt. Seither floss das Geld, und Loretta hatte im Gegenzug geschwiegen. Der Kerl hatte bis zum Schluss nicht erfahren, wer ihn erpresste. Sie hatte sich auch alle Mühe gegeben, ihre Spuren zu verwischen – verschiedene Postfächer, Decknamen und ein guter Freund, der allerdings inzwischen gestorben war. Geldgierig war Loretta eigentlich nicht gewesen. Unter dem Strich war die Summe nämlich gar nicht so hoch, doch da Loretta in all den Jahren nur noch sporadisch Arbeit gefunden hatte, kamen ihr die regelmäßigen Zahlungen gerade recht. Sie konnte ihr Haus behalten, ihre Rechnungen zahlen, sich ab und zu was Hübsches kaufen und gelegentlich auch mal ihrer Familie aushelfen. O ja, das war wirklich gut gelaufen.
Diese junge Dame! Nicht einmal gefragt hatte sie… Doch wie hätte sie auch auf die entscheidenden Fragen kommen sollen? Aber selbst dann – Loretta hätte ihr ohnehin nicht die Wahrheit gesagt, genauso wenig wie die Besucherin ihr die Wahrheit gesagt hatte. Wenn die eine Dokumentarfilmerin war, dann bin ich Marlene Dietrich! Diesmal musste Loretta Baldwin so heftig lachen, dass sie kaum noch Luft bekam.
Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, dachte sie ein wenig nüchterner über ihre Lage nach. Ihre Quelle war inzwischen versiegt, und sie konnte nichts dagegen tun. Alles ging einmal zu Ende. Immerhin hatte sie das Geld nicht mit vollen Händen ausgegeben, sondern einiges davon in dem Bewusstsein, dass ihre goldene Gans nicht ewig Eier legen würde, gut aufgehoben. Es würde noch eine Weile reichen – und wer weiß, vielleicht würde ihr ja irgendwann wieder eine Gans über den Weg laufen. Die junge Frau hatte ihr schließlich auch Geld gegeben, das war schon mal ein Anfang. Loretta Baldwin war eine echte Optimistin.
Das Telefon klingelte und schreckte sie aus ihren Wachträumen. Da sie sich inzwischen gründlich aufgewärmt hatte, öffnete sie die Augen und traf Anstalten, die Badwanne zu verlassen. Vielleicht war ja schon die nächste goldene Gans am Apparat?
Sie schaffte es nicht mehr zum Telefon.
»Erinnerst du dich an mich, Loretta?«
Der Mann stand über ihr. In den Händen hielt er eine Eisenstange mit abgeflachtem Ende.
Sie wollte schreien, aber er drückte sie mit der Stange unter Wasser und hielt sie fest. Für eine Frau ihres
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