Sean King 01 - Im Bruchteil der Sekunde: Roman
in Richmond an und erfuhren, dass Kate derzeit verreist sei, aber in ein paar Tagen zurückerwartet werde. Daraufhin fuhren sie wieder nach Wrightsburg. In der Innenstadt hielt King auf dem Parkplatz eines Lebensmittelgeschäfts der gehobenen Mittelklasse.
»Ich hab das Gefühl«, erklärte er, »dass ich dir ein tolles Essen und eine gute Flasche Wein schulde, nachdem ich dich dermaßen durch die Gegend gezerrt habe.«
»Hat jedenfalls mehr Spaß gemacht, als mit einer Pistole im Anschlag in irgendwelchen Durchgängen zu stehen, während drinnen im Saal ein Politiker um Stimmen buhlt.«
»Braves Mädchen. Du lernst dazu.« King starrte durch die Windschutzscheibe, in Gedanken offenbar ganz woanders.
»Dieser Blick«, sagte Michelle, »kommt mir bekannt vor. Was geht dir denn gerade durch dein kluges Köpfchen?«
»Jorst hat doch mehrfach betont, wie glücklich sich Atticus schätzen konnte, einen Mann von Ramseys Rang zu haben, erinnerst du dich? Das klang so, als ob Berkeley-Absolventen und andere hochkarätige Experten nicht jeden Tag an kleinen und relativ unbedeutenden Unis wie Atticus anklopfen.«
»Ich erinnere mich. Und?«
»Nun, ich hab mir Jorsts Diplome angesehen, die in seinem Büro hängen. Er hat gute Schulen und Universitäten besucht, aber nicht eine von ihnen gehört auch nur zu den zwanzig besten im Land. Und ich wette, die anderen Professoren in diesem Fachbereich waren ebenfalls keine Superstars wie Ramsey – und das war wohl auch der Grund dafür, dass sie vor ihm so einen Respekt hatten.«
Michelle nickte nachdenklich. »Warum ist also so ein brillanter Experte und Berkeley-Absolvent an einem College wie Atticus gelandet?«
King sah sie an. »Genau! Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass es in Ramseys Vergangenheit irgendeinen dunklen Punkt gegeben hat. Vielleicht aus seinen rebellischen Zeiten. Und vielleicht liegt darin auch der Grund dafür, dass ihn seine Frau schließlich verlassen hat.«
»Aber man wird doch seinen Hintergrund nach dem Attentat gründlichst durchleuchtet haben. Dabei hätte so etwas doch herauskommen müssen, oder?«
»Kommt immer darauf an, wie gründlich solche Dinge verschleiert werden. Außerdem muss es zum Zeitpunkt des Anschlags schon Ewigkeiten her gewesen sein. Die Sechzigerjahre waren eine wilde Zeit.«
Während sie durch die Regalreihen des Lebensmittelmarktes schlenderten und die Zutaten fürs Abendessen zusammensuchten, fiel Michelle auf, dass die anderen gut situierten Kunden im Laden sich abwandten, miteinander tuschelten und King mit scheelen Blicken bedachten. Als sie an der Kasse anstanden, tippte Sean dem Mann vor ihm, der ihn geflissentlich zu ignorieren versuchte, auf die Schulter.
»Charles, wie geht’s?«
Der Mann drehte sich um und erbleichte. »Oh, Sean, ja, gut. Und dir? Ich meine…« Der Mann wirkte von seiner eigenen Frage peinlich berührt, doch Sean behielt sein Lächeln bei.
»Beschissen, Charles, einfach beschissen. Aber auf dich kann ich mich doch bestimmt noch verlassen, nicht wahr? Hab dich doch vor ein paar Jahren in dieser unangenehmen Geschichte mit dem Finanzamt ganz gut rausgepaukt, weißt du noch?«
»Wie? Was? Oh, ich… Ah, da draußen steht Martha und wartet. Mach’s gut, Sean.«
Charles hastete davon und stieg in einen Mercedes-Kombi mit einer sehr distinguiert wirkenden, weißhaarigen Frau auf dem Fahrersitz, die ihren Mund zu schließen vergaß, als ihr Gatte ihr brühwarm von seiner Begegnung berichtete. Sichtlich empört fuhr sie davon.
Als Michelle und King mit ihren Einkaufstüten das Geschäft verließen, sagte sie: »Sean, das tut mir wirklich Leid für dich.«
»Ach, die guten Zeiten mussten ja irgendwann mal ein Ende haben.«
In seinem Haus bereitete er ein üppiges Mahl, das mit Caesar’s Salad und Krabbenbrot als Vorspeise begann, gefolgt von Schweinefilet in einer Sauce aus Pilzen und Schalotten, dazu ein Kartoffelpüree mit reichlich Knoblauch. Zum Nachtisch gab es Schokoladen-Eclairs. Dabei saßen sie auf der hinteren Veranda, von der aus man auf den See hinaus blickte.
»Kochen kannst du also. Kann man dich auch als Partybegleitung mieten?«, frotzelte Michelle.
»Wenn die Bezahlung stimmt«, konterte er.
Michelle hob ihr Weinglas. »Guter Tropfen.«
»Das will ich meinen, er hat gerade das richtige Alter. Der liegt schon seit sieben Jahren in meinem Keller. Gehört zu meinen Lieblingsweinen.«
»Ich fühle mich geehrt.«
Sean wies auf den Anleger. »Wie wär’s nachher mit
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