Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
schaute leicht verlegen drein. »Ich bin mit Chip Bailey nach Middleton gefahren, um mir die ›Schlacht‹ anzuschauen. Chip musste vorzeitig fort, deshalb hat Eddie mich nach Hause gebracht. Er sagte, für den zweiten Tag des Reenactments könnte er nicht bleiben.«
Dorothea warf ihr einen argwöhnischen Blick zu. »Also, im Haus war er letzte Nacht nicht«, erklärte sie schließlich. »Wahrscheinlich war er in seinem Atelier. Manchmal schläft er dort.«
Michelle setzte zu einer Antwort an, verkniff sie sich aber.
»Dann fehlt Ihnen ein Alibi«, stellte King fest. »Übrigens habe ich das Hotel Jefferson in Richmond angerufen. Im Gegensatz zu Ihrer Aussage haben Sie in der Nacht, als Bobby ermordet wurde, nicht dort übernachtet. Das wird das FBI auch schon ermittelt haben. Waren Sie in der Nacht im Aphrodisia ?«
»Ja. Kyle hat mir ungefähr um zweiundzwanzig Uhr die Pillen gebracht.«
»Das ist ja eine Ironie des Schicksals.«
»Wieso?«
»Dann war Kyle im Fall der Ermordung Ihres Schwiegervaters Ihr Alibi, aber jetzt ist er tot. Falls also niemand sonst Sie im Club bemerkt hat, haben Sie auch für diesen Mord kein Alibi.«
Dorothea senkte den Kopf und brach in Schluchzen aus. Nach einer Weile stand Michelle auf, ging in die Küche und kam mit einem feuchten Tuch zurück, das sie Dorothea reichte.
»Machen Sie sich nicht verrückt, Dorothea«, sagte King. »Noch ist Kyles Ableben gar nicht als Mord eingestuft. Möglicherweise ist er an einer Drogen-Überdosis gestorben. Oder es war Selbstmord.«
»Dass so ein Typ sich das Leben nimmt, kann ich mir nicht vorstellen. Das Wenige, das ich von ihm weiß, spricht eher dafür, dass er immer nur auf den eigenen Vorteil aus war.« Dorothea wischte sich mit dem Tuch die Augen ab; dann heftete sie den Blick auf King. »Und was geschieht nun?«
»Wir können Ihr Verhalten unmöglich vertuschen.«
Dorotheas Lippen zitterten. »Damit durfte ich wohl nicht rechnen.«
»Allerdings bleibt noch offen, in welchem Umfang es aktenkundig gemacht werden muss.«
»Ich habe Kyle Montgomery nicht ermordet, und auch nicht meinen Schwiegervater.«
»Apropos Schwiegervater – warum sind Sie eigentlich an dem Tag in der Klinik gewesen?«
»Ist das jetzt noch von Belang?«
»Möglicherweise.«
Dorothea atmete tief durch. »Bobby hatte mir Geld zugesagt, einen größeren Anteil von seinem Vermögen. Dafür hätte allerdings sein Testament geändert werden müssen. Er hatte mir angekündigt, für die Änderung zu sorgen, aber mir wurde nie ein Nachweis vorgelegt.«
»Sie haben ihn also besucht, um sich danach zu erkundigen?«
»Ich hatte gehört, dass er bei Bewusstsein war und sprechen konnte. Ob sich eine zweite Gelegenheit bot, wusste ich ja nicht. Meine finanziellen Schwierigkeiten wären behoben gewesen, hätte Bobby seine Ankündigung wahr gemacht und sein Testament geändert.«
»Nein. Die Schwierigkeiten wären behoben worden, wäre er nach der Testamentsänderung gestorben und hätten Sie das Geld tatsächlich erhalten«, berichtigte Michelle.
»Ja«, bestätigte Dorothea leise und senkte den Blick.
»Weiß Eddie etwas von dieser angeblich versprochenen Testamentsänderung?«, fragte King.
»Nein. Eddie glaubt, wir stünden finanziell glänzend da. Er lebt in einer anderen Welt. Er kümmert sich um nichts.«
»Ich glaube, da täuschen Sie sich«, sagte Michelle. »Weshalb hätte Bobby sein Testament so ändern sollen, dass Sie und Eddie im Vergleich zu Remmy bevorzugt werden? Soviel ich weiß, hat er für Sie beide längst vorgesorgt.«
Dorothea lächelte verkniffen. »Kann man jemals genug Geld haben? Ich nicht. Und Bobby hatte verdammt viel Zaster.«
King beobachtete sie mit festem Blick. »Bobby war ein harter Verhandlungspartner. Worum also ging es beim quid pro quo , Dorothea?«
»Da halte ich lieber den Mund«, antwortete sie nach längerem Zögern. »Ich bin nicht sonderlich stolz darauf.«
»Kann ich mir denken. Dagegen war der kleine Strip, den Sie für Kyle hingelegt haben, wahrscheinlich gar nichts. Weshalb haben Sie eigentlich einen von Bobbys Oldies benutzt, um zum Aphrodisia zu fahren?«
Ein Lächeln des Triumphs legte sich auf Dorotheas Lippen. »Ich fand, er wäre mir mindestens das schuldig. Und er fuhr die Wagen ja sowieso nicht mehr.«
»Wissen Sie warum?«
»Er war sie leid geworden, nehme ich an. Für so was war der großmächtige Bobby Battle bekannt. Irgendwann hatte er alles satt, was er einmal begehrt hatte, und vergaß es.«
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