Sean King 02 - Mit jedem Schlag der Stunde: Roman
könnte davon gewusst haben?«
»Zum Beispiel die Person, die den Schrank mit dem Geheimfach gebaut hat.«
King nickte. »Und diese Person kann davon ausgehen, dass Bobby dort Wertsachen aufbewahrt. Vielleicht ist es sogar dieselbe Person, die Remmys versteckte Schublade eingebaut hat. Bobby könnte diese Person damit beauftragt haben, ohne seiner Frau etwas davon zu sagen.«
»Ich glaube, wir können ausschließen«, sagte Michelle, »dass Junior von Remmy angeheuert wurde, um in das Haus einzubrechen und den Inhalt von Bobbys Fach zu stehlen. Hätte sie davon gewusst, hätte sie es selbst tun können.«
»Wenn sie gewusst hätte, wo es sich befindet. Vielleicht hat sie es selbst nicht gefunden und Junior beauftragt, danach zu suchen und es wie einen Einbruch aussehen zu lassen.«
»Aber in diesem Fall hätte sie niemals die Polizei gerufen.«
King schüttelte den Kopf. »Nicht, wenn Junior sie hintergangen und ihre Sachen gestohlen hat, während er nach Bobbys Geheimfach suchte. Und vielleicht will Junior noch nicht offen darüber reden, weil er zunächst abwarten möchte, wie die Sache sich entwickelt.«
»Warum glaube ich auf einmal, dass dieser Fall viel komplizierter ist, als alle denken?«, sagte Michelle mürrisch.
»Ich habe ihn nie für einfach gehalten.«
Beide drehten sich um, als ein Van sich über den Kiesweg dem Wohnwagen näherte.
King versuchte die Insassen zu erkennen und drehte sich dann zu Michelle um. »Lulu scheint mit dem Kautionsantrag durchgekommen zu sein. Das ist Junior Deaver auf dem Beifahrersitz. Schauen wir mal, ob wir aus ihm die Wahrheit herausbekommen.«
»Wenn ich bedenke, wie es bisher gelaufen ist, würde ich keinen Cent darauf wetten. Klare Antworten scheinen zurzeit Mangelware zu sein.«
KAPITEL 20
Junior Deaver sah aus wie ein Mann, der sein Geld mit den Händen verdiente. Seine Jeans und sein T-Shirt waren voller Farbflecken und schienen dauerhaft mit Zementstaub imprägniert zu sein. Er war über eins neunzig groß, mit dicken, muskelbepackten Armen – ein sonnengebräunter Hüne voller Narben, Schorf und mindestens fünf Tattoos, soweit Michelle zählen konnte, die verschiedene Themen abdeckten, von Müttern über Lulu bis zu Harley-Davidson. Sein Haar war braun und bereits etwas ausgedünnt, und er trug es lang und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der seinen angegrauten und zurückweichenden Haaransatz unvorteilhaft betonte. Hinzu kamen ein kleiner, borstiger Spitzbart und buschige Koteletten, die seine Weihnachtsmannpausbacken umrahmten. Doch er hob sein jüngstes Kind, ein sechsjähriges Mädchen mit Zöpfen und wunderschönen braunen Augen, mit einer Zärtlichkeit aus dem Van, die Michelle ihm niemals zugetraut hätte.
Lulu Oxley war sehr schlank und trug einen nüchternen schwarzen Geschäftsanzug, Schuhe mit flachen Absätzen und eine modische Sonnenbrille mit dünnem Goldrahmen. Ihr braunes Haar war professionell zu einem komplizierten Knoten hochgesteckt. In einer Hand hielt sie eine Aktentasche und in der anderen die kleine Hand eines ungefähr achtjährigen Jungen. Das dritte Kind, ein Mädchen von etwa zwölf Jahren, folgte ihnen mit einer großen Schultasche. Alle Kinder trugen die Uniform einer städtischen katholischen Schule.
King trat vor und reichte Junior die Hand.
»Junior, ich bin Sean King. Harry Carrick hat uns beauftragt, an Ihrem Fall zu arbeiten.«
Junior warf Lulu einen Blick zu. Als sie nickte, nahm er widerstrebend Kings Hand und drückte sie. Michelle sah, wie ihr Partner leicht zusammenzuckte, bevor der große Mann ihn wieder losließ.
»Das ist meine Partnerin Michelle Maxwell.«
Lulu sah sich die beiden sehr genau an. »Harry sagte, dass Sie vorbeischauen würden. Ich habe Junior gerade aus dem Gefängnis geholt, und ich möchte nicht, dass er wieder hineinkommt.«
»Das wird nicht passieren«, brummte Junior. »Weil ich nichts Unrechtes getan habe.«
Das Mädchen in seinen Armen fing leise zu weinen an.
»Ach, Mensch«, sagte Junior, »hör endlich auf zu jammern, Mary Margaret. Daddy ist jetzt wieder zu Hause.« Doch das kleine Mädchen schluchzte immer noch.
»Mama«, rief Lulu, »komm und hol die Kinder rein!«
Priscilla erschien in der Tür, diesmal ohne die Waffe, und rief die älteren Kinder in den Wohnwagen, bevor sie Mary Margaret von Junior entgegennahm.
Sie bedachte ihren Schwiegersohn mit einem strengen Blick. »Wie ich sehe, lassen sie heutzutage jeden aus dem Knast.«
»Mutter!«, rief Lulu.
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