Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
möglich. Geistig hatte der Junge nie zu den Besten gehört, aber Quarry liebte ihn. Und Daryl tat, was sein Daddy ihm sagte. Fehlenden Intellekt machte er mit wilder Entschlossenheit und größter Aufmerksamkeit selbst für die kleinsten Details wett - beides Attribute, die auch seinen Vater auszeichneten. Diese Eigenschaften hatten Daryl in der Armee gute Dienste geleistet. Er, Kurt und Carlos hatten gemeinsam im Irak und in Afghanistan gekämpft. Zusammen hatten sie acht Auszeichnungen bekommen und das Schlimmste überlebt, was der Feind ihnen hatte entgegensetzen können, einschließlich Selbstmordattentäter.
Dann hatten die Probleme begonnen. Quarry war eines Morgens nach unten gekommen, als die drei Männer in der Küche von Atlee beim Frühstück saßen.
»Was führt euch denn hierher?«, hatte Quarry die drei gefragt. »Ich dachte, ihr hättet Befehl, wieder in den Nahen Osten zu gehen.«
»Heimweh«, murmelte Daryl mit vollem Mund, während er nickte und grinste und seinen Kaffee schlürfte. Carlos, schon immer der Ruhigere, starrte nervös auf seinen Teller und stocherte mit der Gabel im Essen.
Quarry setzte sich den drei jungen Männern gegenüber. »Lasst mich euch mal eine dumme Frage stellen: Weiß die Army, dass ihr hier seid?«
Die drei schauten einander an; dann sagte Daryl: »Ich nehme an, das wird nicht allzu lange dauern.« Er lachte leise.
»Ihr seid also fahnenflüchtig. Warum?«
»Wir sind das Kämpfen leid«, antwortete Kurt.
»Im Irak ist es noch heißer als in Alabama, und nachts ist es dort kälter als hier im Winter«, fügte Daryl hinzu. »Und wir waren schon vier Mal da. Wir haben Al Kaida und den Taliban oft genug in den Arsch getreten.«
»Diese Freaks mit ihren Handtüchern um den Kopf«, knurrte Carlos und befingerte seinen Kaffeebecher.
»Aber sie kommen immer wieder«, sagte Kurt. »Macht man einen platt, ist sofort der Nächste da.«
»Auf der Straße fragen Kids dich nach Süßigkeiten und jagen sich dann selbst in die Luft«, fügte Daryl hinzu.
»Es ist das Beschissenste, was man sich vorstellen kann, Mr. Quarry«, sagte Kurt. »Wir haben die Schnauze voll von dem Scheiß, wirklich.«
Daryl legte seine Gabel ab und wischte sich mit dem fleischigen Handrücken über den Mund. »Also haben wir uns gesagt, dass es an der Zeit ist, nach Hause zu gehen, nach Alabama.«
»Sweet Home Alabama.« Kurt grinste.
Am nächsten Tag war die Militärpolizei gekommen.
»Ich habe sie nicht gesehen«, sagte Quarry zu den düster dreinblickenden Soldaten. Sie sprachen mit Ruth Ann, mit Gabriel und sogar mit Fred, dem Indianer; aber keiner von ihnen sagte ein Wort. Familie über alles. Natürlich erzählte Quarry den Militärpolizisten auch nichts von der alten Mine, denn da versteckten sich Kurt, Carlos und Daryl. Quarry hatte die Männer am Abend zuvor dorthin geflogen.
»Es ist eine Straftat, fahnenflüchtigen Soldaten Unterschlupf zu gewähren«, hatte der kleine Sergeant lateinamerikanischer Herkunft zu Quarry gesagt.
»Ich habe meinem Land in Vietnam gedient, Sergeant. Ich habe mehr Männer getötet als Sie in Ihren kühnsten Träumen. Das hat mir ein paar Purple Hearts eingebracht, aber kein einziges Dankeschön von Onkel Sam. Stattdessen hat mein Land mir bei der Rückkehr in den Arsch getreten. Für die Jungs aus Vietnam gab es keine Paraden. Na ja, sollte ich meinen Sohn sehen, werde ich mit Sicherheit das Richtige tun.« Dann hatte Quarry salutiert und den Militärpolizisten die Tür vor der Nase zugeknallt.
Das lag nun zwei Jahre zurück, und seitdem war die Army noch zweimal erschienen. Doch es gab nur wenige - und noch dazu sehr lange - Straßen, die in diese Gegend führten, sodass Quarry lange im Voraus wusste, wer da zur Atlee-Plantage kam. Schließlich hatte die Army es aufgegeben. Offenbar hatten sie Wichtigeres zu tun, als drei Jungs aus Alabama zu fangen, die keine Lust mehr hatten, siebentausend Meilen entfernt Araber zu töten.
Kurt war wie ein Sohn für Quarry gewesen, fast wie Daryl. Er kannte den Jungen seit seiner Geburt. Er hatte ihn aufgenommen, nachdem seine Familie bei einem Brand ums Leben gekommen war. Kurt und Daryl waren einander sehr ähnlich gewesen.
Was Carlos anging, so hatte er vor gut einem Dutzend Jahren plötzlich vor Quarrys Tür gestanden. Damals war Carlos nicht viel älter gewesen als Gabriel jetzt. Er hatte weder eine Familie noch Geld gehabt, nur Hemd, Hose, kräftige Muskeln und eine Arbeitsmoral, die kein Aufgeben kannte. Und
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