Sean King 04 - Bis zum letzten Atemzug
sie kümmere. Und das tat er auch; Jane glaubte das ebenfalls. Und ohne die bedingungslose Hingabe seiner besseren Hälfte hatte es noch kein Mann bis zum Präsidenten gebracht.
Jane hörte zu, wie Dan seine typische Siebenundzwanzig-Minuten-Jubelrede ablieferte. Heute Abend ging es um Wirtschaft, um Jobs und um die Zukunft der Stahl- und Kohleindustrie, denn Pennsylvania war ein Schlüsselstaat. Jane ertappte sich dabei, wie sie die Worte der Rede mitsprach. Genau wie er legte sie dabei rhetorische Pausen von ein, zwei, drei Sekunden ein, gefolgt von einem Slogan oder einem Scherz, den sich irgendein Redenschreiber von den Eliteuniversitäten des Ostens ausgedacht hatte.
Jane zog sich aus und schlüpfte ins Bett. Noch bevor sie das Licht ausknipste, fühlte sie, wie die Dunkelheit sich um sie schloss.
Am nächsten Morgen würde ein Zimmermädchen die Kissen der First Lady feucht von Tränen finden.
27.
W illa legte Stolz und Vorurteil beiseite. Nicht lange, nachdem sie hierhergebracht worden war, hatte sie die Wände abgeklopft und etwas Festes dahinter entdeckt. Sie hatte auf Schritte gelauscht und auf ihre Uhr geschaut; so war sie schließlich zu dem Schluss gekommen, dass jede Stunde jemand vor ihrer Zelle patrouillierte. Sie bereitete sich ihre eigenen Mahlzeiten zu, bestehend aus Doseneintopf, kalt gegessen, oder Militärrationen. Das war zwar nicht, was sie gewohnt war, aber das kümmerte ihren Magen nicht. Sie trank Flaschenwasser, kaute Cracker, versuchte, sich warm zu halten, und benutzte die batteriegetriebene Lampe nur sparsam. Wenn sie sich ausruhte, schaltete sie die Lampe aus und versuchte, sich nicht von der Dunkelheit ängstigen zu lassen.
Willa lauschte auf den Mann, den großen, älteren Mann. Sie hatte gelernt, ihn am Geräusch seiner Schritte zu erkennen. Sie mochte ihn lieber als die anderen, die ihr Wasser, Essen, saubere Kleidung und neue Batterien für die Lampe brachten. Die anderen sprachen nie, schauten ihr nie in die Augen, und doch hatte Willa Angst vor ihnen. Sie hatte Angst, ihr Schweigen würde plötzlich durch wilde Wut ersetzt werden.
Anfangs hatte Willa versucht, mit ihnen zu sprechen, doch jetzt nicht mehr. Stattdessen versuchte sie, sich unsichtbar zu machen, wann immer die Männer kamen, und wenn sie die Tür wieder hinter sich schlossen, seufzte Willa erleichtert.
Sie blickte auf die Uhr. Die Schritte waren gerade vorbeigekommen. Sie hatte jetzt Zeit. Zwei Stunden frei. Willa nahm die Lampe und ging zur Tür. Vorsichtig klopfte sie daran. Und wartete. Klopfte. Wartete.
»Hallo?«, sagte sie. »Ich ... äh, ich glaube, hier drin ist ein richtig großes Feuer ausgebrochen.«
Keine Antwort.
Willa stellte die Lampe ab und holte den Stift aus der Tasche, den Quarry ihr gegeben hatte. Genauer gesagt, sie holte die Klammer des Stifts heraus. Die hatte einen Neunzig-Grad-Haken an einem Ende. Als Nächstes nahm Willa ein langes Stück Metall mit einem dreieckigen Knauf, das sie aus den Deckeln der Konservendosen gefertigt hatte. Mit der Lampe hatte sie das Metall gehalten, es mit der scharfen Kante eines anderen Deckels zurechtgeschnitten und dann entsprechend zusammengerollt und geformt.
Willa betrachtete das Schlüsselloch und rief sich ins Gedächtnis, was sie über das Schlösserknacken gelernt hatte. Vor zwei Jahren hatten sie die First Family in einem hundert Jahre alten Haus an der Küste von South Carolina besucht, das wohlhabende Freunde dem Präsidenten für einen zweiwöchigen Sommerurlaub zur Verfügung gestellt hatten. Colleen Dutton, damals erst fünf, hatte sich selbst im Badezimmer eingesperrt. Das verängstigte Mädchen hatte geschrien, gegen die alte Tür gehämmert und an dem antiken Schloss gezerrt, doch ohne Erfolg. Dann war ein Secret-Service-Mann zur Rettung herbeigeeilt. Nach nur zehn Sekunden hatte er das Schloss mit einer Büroklammer geknackt und Colleen befreit.
Willa hatte ihre untröstliche Schwester nach dieser Episode stundenlang in den Armen gehalten. Später hatte sie sich Sorgen gemacht, Colleen würde sich auch daheim versehentlich ins Badezimmer einsperren; also hatte sie den Agenten gebeten, ihr das Schlösserknacken beizubringen. Das hatte der Mann getan; er hatte ihr auch den Unterschied zwischen einem gewöhnlichen und einem Sicherheitsschloss gezeigt. Sicherheitsschlösser waren schwerer zu knacken. Sie verlangten nach größerem Können und zwei verschiedenen Werkzeugen - und genau so einem Schloss sah Willa sich hier
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