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Sebastian

Sebastian

Titel: Sebastian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Bishop
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begreifen.
    Sie zog das Stück Handtuch von ihrer Schulter, breitete es vor dem Beet auf dem Boden aus, hob dann den Ziegelstein auf und wickelte ihn in das Handtuch.
    Eilig, um die Aufgabe zu Ende zu bringen, bevor die Sonne unterging, hob sie den eingepackten Ziegelstein auf und rannte auf die geschützte, hufeisenförmige Felsenbucht zu, in der das Boot lag, das die Flusshüter für sie gebaut hatten. Ihre Boote waren die einzigen, die es schafften, diesem Teil des Flusses standzuhalten.
    Sie stieg ins Boot, setzte sich mit dem eingewickelten Ziegel auf dem Schoß auf die vordere Bank und leerte ihren Geist von allen Gedanken, bis auf die an das Boot und den Fluss.
    Das Boot hatte keine Ruder, keine Segel, keinen Ruderstock. Der Wille und das Herz ersetzten diese Dinge. Sanft und langsam glitt das Boot aus dem ruhigen Wasser der Bucht in die aufgewühlten Fluten des Flusses. Manche Strömungen kreuzte es, anderen folgte es, im Gleichgewicht gehalten und angetrieben von der Aufgabe der Person, die sich in ihm befand.
    Am Rande dieses Durcheinanders von Strömungen brachte ihr Wille das Boot zum Anhalten. Sofort breitete sich ein Kreis ruhigen Wassers um es herum aus.
    Sie hob den Ziegelstein hoch und hielt ihn über die Fluten. Es war dumm von ihr gewesen, eine Entscheidung in jugendlichem Zorn zu treffen.
    Gelegenheit und Entscheidung. Ein verbitterter Bauer, der noch immer das Samenkorn der Güte in sich trug. Mit einem sanften Lichtstrahl, einem Schimmer der Hoffnung, hatte sie dieses Samenkorn genährt. Er hatte dieses Schimmern zurück in einen von dunklen Gefühlen erfüllten Teil der Stadt getragen und dort ein weiteres schimmerndes Licht entfacht. Und noch eines. Und noch eines. Freundlichkeit nährte Freundlichkeit, und das Licht wurde heller. Ein paar Monate später, als die Resonanz dieses kleinen Teils der Stadt nach ihr rief, war sie  hinübergetreten und hatte den Ziegelstein mitgenommen, um ihn zu ihrem Ankerpunkt zu machen, so dass sie die Strömungen des Lichts weiterhin führen könnte. In den letzten Jahren war sie ein paar Mal dort gewesen, um die Resonanz dieses kleinen Ortes im Gleichgewicht zu halten, hatte sich auf ihr Glück verlassen, dass sie nicht auf Sebastians Vater treffen würde, der einzige Zauberer, der sie vielleicht erkennen könnte.
    Jetzt …
    Musste sie sie gehen lassen - diese Menschen, dieses Leuchtfeuer des Lichts. Eine Landschaft innerhalb der Mauern der Stadt der Zauberer zu besitzen, war schon immer ein Risiko gewesen. Jetzt konnte dieses Risiko alle Landschaften gefährden, die sich in ihrer Obhut befanden. Es könnte die Schwachstelle in der Mauer sein, die dem Weltenfresser die Möglichkeit gab, die Feste des Lichts anzugreifen.
    Ihre Hände zitterten, als sie den eingewickelten Ziegelstein ins Wasser gleiten ließ.
    »Es tut mir leid«, flüsterte sie. Tränen rannen über ihr Gesicht. »Es tut mir leid.«
    Warum?, flüsterte eine Stimme. Warum sie aufgeben? Du hast so hart gearbeitet, um ihnen zu helfen. Willst du das nicht auch weiterhin tun?
    Natürlich wollte sie diesen Menschen helfen.
    Dann halte sie unter deinem Schutz. Behalte sie im Garten.
    Da fühlte sie es - eine dunkle Strömung, die nicht mit ihrer Resonanz im Einklang stand. Bosheit hinter den Worten, die ihr versicherten, sie müsse das nicht tun.
    Mit einem gequälten Aufschrei ließ sie den Ziegelstein los.
    Er sank schnell, aber die Strömungen des Flusses spülten jede Spur von ihr fort, bevor er den Grund erreichte.
    Sie kauerte sich eine Weile im Boot zusammen, elend vor lauter Angst.
    Beinahe hätte sie nachgegeben. Selbst in dem Bewusstsein, dass diese kleine Landschaft eine Gefahr für alle ihre anderen Landschaften bedeuten könnte, hätte sie beinahe nachgegeben. Weil etwas gerade weit genug eingedrungen war, um sie zu einem Fehler zu verleiten. Es hatte auf ihren eigenen Widerwillen gezielt, diese Menschen im Stich zu lassen und sie zurück in das elende Leben zu schicken, aus dem sie gekommen waren, als allein der Einfluss der Zauberer diesen Teil der Stadt berührt hatte. Wenn sie den Ziegelstein mit zurück in ihren Garten genommen hätte, wäre es dem Weltenfresser vielleicht möglich gewesen, diese kleine Landschaft zu nutzen, um die Heiligen Stätten anzugreifen.
    Bis ins Mark erschöpft und halb blind vor Tränen setzte sie sich auf, konzentrierte ihren Willen darauf, das Boot zu steuern und ließ keinen anderen Gedanken zu, bis es sicher im ruhigen Wasser der hufeisenförmigen

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