Sebastian
seinen Cousin wütend an.
Lee blickte aufs Wasser hinaus. »Es war nicht deine Schuld, und auch der Pfuhl war nicht der Grund. Nicht wirklich. Während meiner Ausbildung habe ich ein paar Dinge mitbekommen, die mich auf den Gedanken gebracht haben, dass dies alles nur ein Vorwand war. Bevor sie die Schule überhaupt betreten hatte, vermuteten die Zauberer bereits, dass Gloriannas Macht alles in den Schatten stellen könnte, was für eine Landschafferin als ›normal‹ galt, und sie wollten sie einschließen, ihren Garten versiegeln, sie verurteilen. Wenn nicht der Pfuhl, wäre es etwas anderes gewesen, zu einer anderen Zeit, wenn sie es vielleicht schwerer gehabt hätte, zu entkommen.«
»Wie kommst du darauf?«
»Wie gesagt, Dinge, die ich zufällig mit angehört habe. Die Zauberer kommen mehrmals im Jahr vorbei, gleich nach den Bewertungen, bei denen es darum geht, welche Schüler aufsteigen und welche nicht. Sie fragen immer nach den stärksten Schülerinnen der Landschafferinnen, nach denen, die in der Zukunft zu einem ›Problem‹ werden könnten, wenn sie der aufmerksamen Kontrolle erst einmal entkommen sind.« Lee sah Sebastian an. »Glorianna war nicht die Erste, weißt du. Jedes Mal, wenn ich einen freien Tag hatte, bin ich durch das Schulgelände gelaufen. Es gab noch andere versiegelte Gärten, manche mehrere Hundert Jahre alt, oder noch älter. Einige waren vor so langer Zeit versiegelt worden, dass das Datum in die Mauer geritzt und nicht in eine Messingtafel geprägt war. Ich glaube …« Er senkte die Stimme und beugte sich nach vorn. »Ich glaube, die Zauberer entledigen sich seit Generationen der stärksten Landschafferinnen. Ich glaube, sie erfinden irgendeinen Vorwand, um das Mädchen zu einer Gefahr für Ephemera zu erklären und sperren sie dann in einen Käfig, den sie selbst geschaffen hat. Theoretisch kann das Mädchen über die Ankerpunkte in ihrem Garten alles erreichen, was sie zum Überleben braucht - Nahrung, Kleidung, Unterkunft -, aber sie ist allein. Sie kann Dinge erreichen, aber keine Personen. Das ist die eigentliche Strafe, wenn die Rechtsbringer jemanden einschließen. Die bestrafte Person lebt allein - und sie stirbt allein. Und ihre Blutlinie wird ausgelöscht.«
Sebastian stützte sich mit den Händen auf die Bank und lehnte sich nach vorne, so dass er seine Stimme nicht über ein Flüstern heben musste. Tageslicht! Er fühlte sich, als tausche er abgrundtief böse Geheimnisse aus, die ihn das Leben kosten würden, sollte jemand anderes hören, was Lee ihm gerade erzählte.
Und vielleicht stimmt das auch.
»Du kannst nicht wissen, was mit den Mädchen geschieht, ob man sie wirklich so alleine lässt«, sagte Sebastian.
»Doch, das kann ich. Weil ich vor zwei Jahren eine von ihnen gefunden habe.« Lee schüttelte den Kopf. »Ihr Ruf war so stark, dass ich eine Brücke geschaffen habe, um ihr zu antworten. Und ich habe sie gefunden. Sie war sehr alt und ziemlich durcheinander. Sie lief durch einen Wald und sammelte Blätter und Zweige. Ich weiß nicht, ob sie sie für essbar hielt oder ob sie einfach etwas zu tun haben wollte. Sie trug Lumpen, die ihren Körper kaum bedeckten, und sah so zerbrechlich aus, als wäre sie aus Glas …
Dann hat sie mich gesehen. Und sie hat mir trotz allen Wahnsinns davon erzählt, wie man sie in ihrem Garten eingeschlossen hat und was die Rechtssprechung der Zauberer für ein Mädchen bedeutet, das verurteilt wird.«
»Aber sie war verrückt«, protestierte Sebastian. »Du weißt nicht, ob irgendetwas Wahres an ihrer Geschichte war.«
Selbst im Licht der Laterne, mit dem Gesicht halb im Schatten, konnte Sebastian den Schmerz in Lees Augen erkennen.
»Sie hat über ihre Schwester gesprochen. Dass sich ihre Schwester um das Baby kümmern würde. Und dass das Kind sowohl den Samen des Lichts als auch den der Dunkelheit in sich tragen - und zu einer Frau heranwachsen würde, die sogar den Weltenfresser besiegen könnte, wenn die Wächter der Dunkelheit sie nicht vernichteten, bevor sie die Blüte ihrer Macht erreicht hätte.
Dann hat sie von zwei Pflanzen je ein Stück abgebrochen und mir entgegengestreckt. Als ich sie nehmen wollte, spürte ich, wie meine Hand durch eine mächtige Barriere brach. Und dann ist sie verschwunden.« Lee rieb sich den Nacken. »Irgendwie hatte meine Brücke die Barriere soweit aufgerissen, dass ich in der Lage war, sie zu sehen und mit ihr zu sprechen, aber nicht weit genug, dass sie die Berührung einer
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