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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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nicht so schlecht, aber Mitja bekam in der Nacht einen fürchterlichen Husten, der bis zum Morgen nicht aufhören wollte. In der Frühe spuckte er Blut. Die beiden Schwestern, die alte und die junge, gerieten in Panik. Der Chef, der Panzeroberst, erschien selbst und befahl, im Krankenhaus anzurufen. Nach einer Stunde fuhren Sanitäter mit einem Arzt vor und nahmen meinen Blinden im Rotkreuzauto mit. Als wir uns verabschiedeten, streichelte er mir das Gesicht, fühlte meine Tränen und tröstete mich, er komme ja bald zurück. Zum ersten Mal – ich wusste ja nicht, wie man das macht – gab ich ihm ungeschickt einen Kuss. Die ältere Schwester hatte Mühe, mich von ihm loszureißen; erwurde weggebracht. Verzweifelt stürzte ich mich auf die Schwestern und schlug auf sie ein. Wie sie mich zur Besinnung brachten, weiß ich nicht mehr, aber ich habe zwei Tage nichts gegessen.
    Der Spitzname unseres obersten Erziehers und Aufsehers, eines ehemaligen Frontoffiziers, war Goldhauer, weil in seinem Mund zwischen gewöhnlichen Zähnen ein goldener Zahn steckte. Der Mann hatte die gleiche Funktion wie Geierauge in Tschornyje Lutschi, war aber nicht solch eine Bestie. An der Front hatte er den rechten Arm verloren. Wenn er bei Laune war, erzählte er uns, wie er als Aufklärer losgeschlichen war und einen Gefangenen mitgebracht hatte.
    Sein Gehilfe war der Jungentreiber, der uns in die Schule trieb; auch er war noch vor kurzem Offizier gewesen. Zur Arbeit kam er stets in Uniform, nur ohne Schulterklappen, aber mit zwei Verwundetenaufnähern auf der Brust.
    Außer ihnen befehligten uns zwei Wachmänner, die offensichtlich im Krieg Kontusionen erlitten hatten. Der eine wurde Dumm, der andere Oberdumm genannt. Dumms hauptsächliche Beschäftigung bestand darin, mit uns das Antreten in Reih und Glied zu üben. Fast die ganze unterrichts- und essensfreie Zeit drillte er uns: antreten der Größe nach, Ausrichten und Umdrehen auf das Kommando »links … um« oder »rechts … um!«
    Oberdumms Lieblingswörter waren »weiß nicht, keine Ahnung, nicht erlaubt«.
    Unsere Aufseher waren sämtlich Militärs, die das Trommelfeuer des Krieges durchgestanden hatten und wohl deshalb nicht so brutal mit uns umgingen. Selbstdie Spitznamen, die wir ihnen gaben, waren milder als die der Dershimordas * in Tschornyje Lutschi. Verpflegt wurden wir im Südural viel besser als in Sibirien. Wir aßen ordentlich von Tellern und nicht wie dort aus Blechtassen. Die Teller waren zwar aus Metall, aber es waren Teller. Niemand nahm einem das Essen weg, jedenfalls mir nicht. Außerdem hatte ich, darin besaß ich ja Erfahrung, gleich in den ersten Tagen ein Gebetbuch gezeichnet, ein Kartenspiel, das ich dem Heim-Pachan * überreichte, einem kraftstrotzenden Kerl mit dem Spitznamen Hammer. Der traute seinen Augen nicht, er hatte noch nie so schöne Karten in der Hand gehabt. Bald fertigte ich zwei weitere Spiele mit anderen Zeichnungen an und erwarb mir damit endgültig und für alle Zeiten seine Gunst. Die Alten erlaubten sich auf dem Gelände des Heims keine Diebstähle, denn der Panzeroberst konnte jedem mit einem Kopfstüber eine Gehirnerschütterung verpassen.
Wissen ist Licht, Unwissen Finsternis
    Die Schule, in die ich kam, war nicht gerade das, was man sich unter einer Lehranstalt vorstellt. Stellen Sie sich eine langgestreckte Baracke vor, in zwei Hälften geteilt. In der einen Hälfte, mit grüner Kobaltfarbe gestrichen, wurden die Schüler aus der Stadt unterrichtet, in der anderen Hälfte, deren Wände aus ungestrichenen schwarzbraunen Schalbrettern bestanden, saßen wir, die Zöglinge der Besserungskolonien und Kinderheime. Von einem dunklen Korridor gingen links und rechtsschmale Klassenräume ab. Jeder Raum hatte einen großen Kachelofen mit Metallbeschlägen. An der Rückwand war rund um den Ofen bis hoch hinauf feuchtes Brennholz gestapelt. An der gegenüberliegenden Wand hing die Schultafel, eine schwarz gestrichene Sperrholzplatte. Darüber – voller Fliegendreck – die alte Losung: »Wissen ist Licht, Unwissen Finsternis«. In allen Klassenräumen wurde in drei Schichten unterrichtet. Die Stadt war ja noch immer überfüllt mit Evakuierten. Und Schüler, gewaschene und ungewaschene, gab es mehr als genug für drei Schichten.
    Morgens, wenn der Jungentreiber uns in die Schule scheuchte, war es im Klassenraum grimmig kalt. Der Heizer Mumuka, ein taubstummes Männlein, schaffte es nicht, mit dem feuchten Holz alle Räume zu heizen, und wir

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