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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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mussten ihm helfen. Ich mit meiner Ausbildung durch den Chanten dachte mir, dass die gespaltenen Scheite nicht liegen, sondern stehen sollten, wie bei einem nächtlichen Lagerfeuer. Das Feuerloch war groß genug dafür. Es klappte auf Anhieb – das Holz entflammte viel schneller. Mumuka staunte sehr und machte mich zu seinem Gehilfen, und die Alten verliehen mir den Titel des Chefheizers.
    An unserer Tür hing außen ein Schild: anfangsklassen. Ja, die erste, zweite und dritte Klasse wurden gemeinsam unterrichtet. Außer ein paar Dachsen waren alle Schüler für die Anfangsklassen viel zu alt. Ich kann nicht sagen, wer von ihnen wie alt war, aber bei etlichen spross unter der Nase schon ein Schnurrbart. Diese Kinder des Krieges waren schwer zu lenken. Wenn den kraftstrotzenden Jungbullen irgendwas nicht passte, brachten siees fertig, Holzscheite nach dem Lehrer zu schmeißen. Ich als Heizer saß in der mittleren Reihe auf der hintersten Bank beim Ofen und hatte die Scheite buchstäblich im Rücken. Mein Banknachbar war ein langer Lulatsch aus der Strafkolonie. Wenn den die Paukerin an die Tafel rief, nahm er ein stattliches Scheit vom Holzstapel, ließ es über den Fußboden zu ihr schlittern und sagte dazu: »Das kommt für mich, soll es dir antworten.« Und wenn sie den Terror nicht aushielt und weinend in den Korridor lief, brach in der Klasse das totale Chaos aus. Die überalterten Schüler sprangen aus ihren Bänken und fielen über die Kleinen her, sie verhöhnten uns, »zerquetschten Läuse« auf unseren Köpfen und warfen uns hoch auf den Brennholzstapel. Sie kippten die Schulbänke um, hämmerten mit Scheiten darauf herum, malten einen gewaltigen Arsch an die Tafel, schrien: »Hände hoch – rette sich wer kann!«, und machten fürchterlichen Radau. Einer der Lümmel stellte sich bei der Tür hin, knipste das Licht ununterbrochen an und aus und sagte dabei immer das Gleiche: »Wissen ist Licht, Unwissen Finsternis.«
Die Schulleiterin
    Das Tohuwabohu dauerte so lange, bis die Tür aufgerissen wurde und die Schulleiterin erschien, eine Frau im strengen dunklen Kostüm, mit kurzgeschnittenen grauen Haaren und herrischem Blick. Die Klasse war im Nu still. Sie ging ruhig zum Lehrertisch und ließ in verächtlichem Ton eine derart phantastische Tirade aufdie randalierenden Rüpel los, dass denen der Kiefer runterklappte. Dabei kam in ihrer Schimpflektion kein einziges zotiges Wort vor. Aber sie war immer deftig, bildkräftig, treffend und einfallsreich. Für mich waren das Lehrstücke in russischer Sprache, darum lauschte ich ihr mit brennendem Interesse. Die Schulleiterin besaß eine so große innere Kraft, dass sie die Luft um sich herum damit auflud, und unsere Rabauken, selbst der Pachan, hatten schrecklichen Bammel vor ihr. Sie belegte sie mit so saftigen Schimpfwörtern, dass die ganze überalterte Bande erstarrte und stumm das Gehörte verdaute.
    »Na, ihr verfressenen Hosenscheißer, habt schon wieder alles vollgesaut hier, spielt Räuber und Kosaken, ihr räudigen Fliegenfresser, ihr stinkenden Drecksäcke! Wollt ihr statt zu lernen das ganze Leben lang rumblöken und krakeelen, ihr Fleischläuse, ihr mümmelnden Schweineschnauzen? Und du arschgesichtiger Lulatsch, was reißt du hier deine Futterluke derart auf, willst du mich umrennen oder ein Stück Holz nach mir schmeißen? Probier’s nur, du pickliger Pachan! Such dir lieber ne Frau zum Heiraten, statt hier die Bude zu verstänkern. Du wirst dich heute bei den Lehrern für die ganze Bande entschuldigen, sonst liefer ich dich bei der Wachtruppe ab, damit sie dir die Lustwurzel abschrauben, verstanden? Und ihr anderen Blökböcke, ihr Jungganoven, habt ihr das geschnallt? In einer Minute ist hier wieder Ordnung in der Klasse, sonst mach ich euch Stinkmorcheln ein Riesenfeuer unterm Arsch …«
    Am Ende ihrer Schimpfkanonade standen die überalterten Lulatsche vor ihr stramm und gaben keinen Mucks mehr von sich.
    Im Kinderheim wurde gemunkelt, sie selbst sei in den zwanziger-dreißiger Jahren im Knast gestählt worden, aber aus politischen Gründen.
    Nachdem die Schulleiterin wieder gegangen war, brachten die bullenstarken Rabauken den Raum in Ordnung: holten die Kleinen vom Holzstapel herunter, stellten die umgeworfenen Schulbänke wieder hin. Für einen oder anderthalb Monate herrschte relative Ruhe.
Das Hauptbuch
    Die Schulbücher, nach denen ich lernte, waren durchweg mit gemeinen Zeichnungen und säuischen Ausdrücken vollgekliert, so dass ich

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