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Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman

Titel: Sechs Jahre sind die Ewigkeit - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sauberen Sachen. Am Morgen lief der Feldwebel zum Markt und tauschte Soldatenhemden und -unterhosen gegen Kinderwäsche, die zwar auch noch zu groß war, aber doch nicht wie für Gulliver.
    Gegen Abend wurde eine Lok angekuppelt, und wir fuhren Richtung Ural, ohne Halt.
    Die Untergebenen des Majors waren nett zu uns. Wir gaben uns Mühe, ihnen nicht zur Last zu fallen und ihnen gefällig zu sein. Mitja sang zur Ziehharmonika, er bat, ihn mal darauf spielen zu lassen, und er durfte. Recht bald klappte es schon ganz ordentlich.
    »Der Junge ist begabt«, erklärte der Feldwebel. »Wenn du groß bist, wirst du Musiker.«
    Für mich wurde ein Knäuel Kupferdraht beschafft,daraus bog ich ein großes Profil des Führers, und der Feldwebel befestigte es an der Wand des Offiziersabteils. Am dritten Tag näherten wir uns Tscheljabinsk. Der Artilleriezug wollte weiter nach Norden, nach Tagil oder Slatoust, das weiß ich nicht mehr. Weiter mitzufahren konnten wir uns nicht entschließen. Mitja hustete stark, er musste schleunigst ins Krankenhaus. Und in einer Großstadt ließ es sich auch besser überwintern. Der Zug hielt auf einem Abstellgleis, ziemlich weit vom Bahnhof. Er sollte an der Stadt vorbeigeleitet werden. Der Major befahl dem Feldwebel, uns zum Bahnhof zu bringen. Ich weiß nicht, wie wir bis zum Ural gekommen wären ohne den Major und seine Artilleristen. Er verabschiedete sich von uns auf militärische Art, ohne überflüssige Worte. Und trug uns auf, uns in der Stadt auf Gnade und Barmherzigkeit der Miliz zu ergeben.
Das Greiferrevier
    Bevor wir uns dem Staat auslieferten, Mitja und ich, wickelten wir die Eisenbahnschlüssel in ein unterwegs aufgelesenes Stück alte Dachpappe und versteckten sie unter dem Eckstein eines auffällig blau gestrichenen Hauses unweit des Greiferreviers. Im Frühjahr würden wir sie wieder holen. Das Katapult nahm ich auseinander, die Gummibänder steckte ich in die Unterhose, den Feuerstahl band ich mir ans Bein. Nach diesen Vorkehrungen meldeten wir uns im Revier. Dem Diensthabenden gestand ich, aus dem Omsker Kinderheim geflohen zu sein, um mich zu meiner Matka nach Leningraddurchzuschlagen. Unterwegs hätte ich den blinden Mitja kennengelernt, und wir seien zusammengeblieben. Seit es so kalt sei, quäle ihn der Husten. Er müsse zu einem Arzt. Unterwegs habe mir ein Kasache gesagt, seine Lunge sei krank.
    »Genosse Milizionär, bitte helfen Sie, schicken Sie ihn zum Doktor.«
    »Soso, ihr kleinen Wölfe, jetzt, wo es kalt geworden ist, braucht ihr ein warmes Dach, und im Frühjahr haut ihr wieder ab, was?«, knurrte der Diensthabende, der mit allen Wassern gewaschen war.
    Wir übernachteten in der Wachstube auf Bänken, und am Morgen verfrachteten sie uns ins Kinderheim. Das war ein dreigeschossiges altes Haus mit stabilen Türen. Ich hatte gedacht, die Tscheljabinsker Wachmänner würden mich für die Flucht aus dem sibirischen Heim verprügeln, aber ich kam ohne Schläge davon.
Das Tscheljabinsker Kinderheim
    Der Chef dieser Einrichtung war ein nach Verwundungen demobilisierter Oberst der Panzertruppen mit einem von Schrapnellnarben gesprenkelten Gesicht. Der riesige bärenstarke Mann war sich seiner Kraft nicht voll bewusst. Er sah furchterregend aus, war aber gutmütig. Sein Haus war gottlob keine Mustereinrichtung wie bei der Kröte in Sibirien. Es herrschte Disziplin, aber keine grausame. Die penible Trennung in Ältere und Jüngere, die sich den Älteren bedingungslos unterzuordnen hatten, schien es hier nicht zu geben. Auch erniedrigtendie Erzieher uns nicht. Ich kann nicht sagen, dass alles gut gewesen wäre. Die Menschen im Ural waren rauer und verschlossener als die Sibirier. Und wir Jungs waren damals widerspenstig, waren wie dem Käfig entflohene kleine Tiere.
    Zuerst wurden Mitja und ich wie üblich zur Quarantäne in den Isolator gesteckt. Nach dem Waschen und dem Einkleiden in staatliches Zeug bekamen wir zu essen und wurden zum Schlafen in der Krankenabteilung untergebracht. Die Schwestern hier waren, verglichen mit den garstigen Weibern in Omsk, die reinsten Engel. Die ältere mit dem Spitznamen Oberpipette war schon fast eine Ärztin, die jüngere, ihre Gehilfin, war die Pipette. Sie trugen weiße Kittel und lächelten sogar. Wie ich später erfuhr, kurierten sie alles mit irgendwelchen Tropfen, die sie in Nase, Augen und Ohren träufelten. Nur wer einen schlimmen Hals hatte, musste das wichtigste Medikament einatmen – ein Streptozidpulver.
    Das alles war gar

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