Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
seiner Nachbarin wegen der klammen Wände konnte er sich nach Feierabend gut schenken.
»Jedenfalls haben sie Kaschi vor kurzem den tollen Wohnwagen abgebrannt, keine Ahnung, wer. Jetzt lebt er in so einem ganz alten, kleinen. Sein Geld ist komplett weg.«
»Wieso sagst du das denn jetzt erst? Na, egal. Wo steht der Wagen denn genau?« Eifrig kramte ich mein Notizbuch hervor, weil mein Reporterherz spürte, dass hier die nächste Lottogeschichte lauerte. Carl überlegte kurz, vermutlich war sein Gedächtnis seit seinem letzten Ausflug nach St. Pauli im Bereich Stadtplan eingerostet.
»Wenn man an der Davidwache runter Richtung Hafen fährt, dann in der Straße rechts.«
»Darf er da stehen und wohnen?« Verena war erstaunt.
»Die Polizei drückt alle Augen zu. Solange sie den Brandstifternicht finden, haben sie Kaschi gegenüber ein schlechtes Gewissen.«
»Ob ich ihn mal besuchen und interviewen darf? Hast du seine Handynummer?« Ich schaute erwartungsfroh in Carls Gesicht. Er bedachte mich mit einem mitleidigen Blick.
»Seine Handynummer? Mensch, Jule, der Kaschi hat gar nichts mehr.«
Verena mischte sich ein. »Du würdest einen Clochard ja auch nicht nach seinem Aktienpaket fragen.«
»Richtig!« Carl nickte. Er setzte sich wieder gerade auf seinen Stuhl. Frau Resche verließ die Trattoria mit zwei großen Pizzakartons.
»Wieso zwei? Ob sie Besuch bekommt?« Ich hatte zwar nicht sonderlich viel übrig für die nörgelnde Nachbarin, aber die Idee, dass Frau Resche im Herbst ihres Lebens ein Rendezvous haben könnte, gefiel mir.
»Quatsch!«, konterte Carl. »Die zweite Pizza ist bestimmt für den Köter. Ekelhaft.« Das war die weniger romantische, durchweg wahrscheinlichere Variante. Bevor das Bild der pizzaschlingenden Resche samt Bonnie auf der durchgesessenen, zugehaarten Couch vorm Fernseher noch realer Gestalt annehmen konnte, wechselte ich wieder das Thema.
»Woher kennst du diesen Kaschi überhaupt?« Es war schon merkwürdig, dass Carl über Menschen in anderen Hamburger Stadtteilen so gut Bescheid wusste. Ein wehmütiges Lächeln packte ihn jetzt.
»Woher ich ihn kenne? Karsten Kaschi Telgmann? Rhodos ’78! Wir haben die Frauen gemeinsam auf Händen getragen.«
Verena, die dem Pizzadialog aufmerksam gelauscht hatte, grinste.
Geld allein macht nicht
unglücklich.
Peter Falk
Karsten Telgmann war nicht aufzufinden. Keiner auf St. Pauli kannte ihn. Kaschi hingegen kannten umso mehr.
»Ach, Sie meinen Kaschi, ›Kaschis heiße Kiste‹? Sagen Sie das doch gleich. Wie soll der in echt heißen? Na, egal. Da hinten auf dem Hof steht er mit seinem alten Bulli. Sein Würstchen-Wagen wurde ihm abgefackelt. Saukerle!« Der Mann trollte sich und nickte zum Abschied mit seinem Kopf in Richtung Hinterhof.
Mit Mühe öffnete ich ein eingerostetes, knarrendes Tor und stolperte über einen mit Unkraut dicht zugewachsenen Hof. Ein paar alte Räder lehnten an einer Mauer, ein Tisch balancierte auf drei Beinen, und an einer ausgefransten Leine hing Wäsche, die nach dem Grad der Verschmutzung zu urteilen entweder nur auslüftete oder die Waschmaschine das letzte Mal vor Ende des Zweiten Weltkriegs gesehen hatte.
Ich schob ein paar einzelne Socken und ehemals weiße T-Shirts zur Seite und bückte mich, um unter der Leine hindurchzuschlüpfen. Dahinter stand knietief, oder besser felgentief, ein hellblauer, zerbeulter VW-Bulli im Sand. An dem Wagen lehnte das leicht mitgenommene Schild »Kaschis heiße Kiste«.
Auf mein vorsichtiges Klopfen kam keine Reaktion. Etwas energischer versuchte ich es erneut. Nichts. Ich bemühte mich, durch das Fenster zu lugen, was sich bei dem Schlierengrad als schwierig erwies. Diagnose: Auto noch länger nicht gewaschen als die Socken auf der Wäscheleine.
Gerade wollte ich den Rückzug antreten, als sich die Wohnwagentür mit einem Quietschen öffnete. Ein Mann, etwa in Carls Alter, schaute freundlich um die Ecke. Seine eindringlichen Augen waren das einzig Strahlende an ihm, der Rest in etwa so angeschmuddelt wie die Socken auf der Leine. Er trug eine beige kurze Hose, die genauso gut einst weiß gewesen sein konnte. Ein olles T-Shirt hing an seinem überraschend durchtrainierten Körper.
Ich starrte verblüfft auf seine Oberarme und fragte mich, wie es sein konnte, dass sie so muskulös waren.
»Ich trainiere täglich. Als Hanteln nehme ich die alten Schrottteile da hinten.« Statt einer Begrüßung zeigte er auf einen Haufen alter Schutzbleche, Motoren und
Weitere Kostenlose Bücher