Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
Umkleidekabine an den Spind geschlichen hat?« Andrea schaute mich interessiert an, weil sie hoffte, ich könne die Lösung des Rätsels liefern. Tatsächlich war ich mal wieder als Letzte eingetroffen, das Telefonat mit Markus Röck hatte mich kostbare Minuten gekostet, wovon sich natürlich jede Sekunde gelohnt hatte.
»Nee, ich hab mich schnell in meine Sachen geschmissen. Hier war niemand!« Ich hatte wirklich niemanden bemerkt, war aber gedanklich auch eher noch an der Autobahnraststätte, so dass ich wahrscheinlich auch nicht bemerkt hätte, wenn King Kong und Godzilla hinter meinem Rücken die blonde Frau entführt und gevierteilt hätten.
»Da ist noch was drin!« Helen beendete abrupt meine Gedankenspiele. Aus dem Umschlag zog sie einen Zettel, auf dem eine Nachricht getippt war: »Jennifer Rohse, Babysitterin, Telefonnummer: 0172… Freitagabend, bereits bezahlt. Absolut vertrauenswürdig. Sie weiß Bescheid.« Kaum hatte Helen die Sätze vorgelesen, brach ein Stimmengewirr los.
»Kennst du die Handschrift?«
»Nein, es ist mit Schreibmaschine geschrieben.«
»Ein Name dabei?«
»Nö!«
»Sonst was?«
Helen drehte und wendete den Zettel und die Kinogutscheine. Mir schwante plötzlich etwas. Konnte es tatsächlich sein, dass …? Unauffällig griff ich nach dem Umschlag, den Helen achtlos auf die Bank gelegt hatte. Verena beobachtete, wie ich den Umschlaginspizierte. Und tatsächlich. Auf der Rückseite prangte er, grün und klein in der Ecke. Der Glückskleeaufkleber.
»Den Aufkleber kenne ich!«, sagte ich leise. Verena stieß die anderen an und deutete auf mich.
»Es ist total witzig, aber du hast dir doch neulich genau das gewünscht, oder, Helen?« Ich erinnerte mich an den Tag, als ich mit meinen Freunden das Interview zum Thema Jackpot gemacht hatte. Als Holger sich in seinem Größenwahn eine Yacht wie Abramowitsch ersehnt hatte.
»Ja, das stimmt. Als es um die Million ging. Ich wollte einfach nur mal mit Jens ins Kino gehen, ohne Kind.«
Verena zählte eins und eins zusammen. »Das lief im Radio, und plopp!, hast du den Wunsch erfüllt bekommen.« Andere schüttelten den Kopf.
»Gibt’s doch gar nicht. Wer macht denn so was?«
»So unwahrscheinlich ist das gar nicht.« Ich fand es selbst erstaunlich und konnte mir nicht vorstellen, wer so genau zuhörte und sich dann die Mühe machte, wildfremder Menschen Träume zu erfüllen.
»Ich habe doch gar nicht meinen Namen gesagt.« Helen verstand die Welt nicht mehr.
»Na ja, ich habe in dem Bericht das Wort Zumba erwähnt.«
»Stimmt, und in Hamburg gibt es nur einen einzigen Zumbakurs, oder wie?«
»Natürlich nicht, aber der Glücksklee. Das ist Wahnsinn!«
»Was meinst du denn genau?« Verena wurde ungeduldig. Immerhin lenkten sie die Kinogutscheine von ihrem unliebsamen Verehrer ab. Ich blickte in die Runde und blieb an Andreas Gesicht hängen.
»Weißt du noch, was du gesagt hast?« Sie kratzte sich am Kopf.
»Ach ja, klar, die Sache mit dem Kindergarten. Die haben große finanzielle Probleme.«
»Jetzt nicht mehr!« Andrea runzelte die Stirn.
»Wie meinst du das?«
»Bei den Stoppelhopsern lag auch ein Umschlag im Briefkasten. Mit genügend Geld, um wieder auf die Beine zu kommen.«
»Das wusste ich noch gar nicht. Das ist ja super!« Andrea freute sich ehrlich. »Aber wie kommst du darauf, dass der Kindergarten etwas mit Helens Gutscheinen zu tun haben könnte?«
Ich hielt den Briefumschlag hoch. »Der Glückskleeaufkleber hier. Der prangte auch auf dem Umschlag für die Stoppelhopser.« Einige der Frauen lachten, andere schüttelten den Kopf, wieder andere schlenderten zur Dusche, weil sie zwei Kinogutscheine nicht ganz so sensationell fanden, wie sie vermutlich eine Yacht gefunden hätten.
Ich fand das alles sehr kurios und überlegte, ob sich vielleicht jemand aus dem Sender einen blöden Scherz mit mir erlaubt hatte. André unter Umständen, er hatte mir ja auch die Mail des Kindergartens vorgelegt. Aber wieso sollte ausgerechnet unser egomaner Moderator auf einmal seine Ader für Mitmenschlichkeit entdeckt haben? Die Idee schlug ich mir aus dem Kopf.
Unsere Hörer waren teils sehr warmherzig und großzügig, brachten gerne Kuchen oder Blumen vorbei. Wieso sollten sie nicht Kindergärten mit Geld beglücken? Sich in Sportumkleidekabinen einschleichen, um Babysittergutscheine zu hinterlegen. Verrückte Vorstellung. Mir gefiel das. Menschen, die mehr hatten als andere und davon etwas abgaben. So wie Rafael versuchte,
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