Sechs Richtige und eine Falsche: Roman (German Edition)
getan, als Mama gestorben war. Vielmehr hatten wir uns beide umarmt, uns gegenseitig Halt gegeben.
»Glaub mir, ich hab genauso wenig Geld wie du. Und ich wäredir dankbar, wenn du diesen Gedanken ganz schnell wieder vergessen könntest. Ich denke, es reicht, wenn wir ein Gerücht aus der Welt schaffen müssen, oder?« Er meinte meine falschen Millionen und hatte wieder mal recht.
So ganz wollte ich mich noch nicht trennen von der Idee, Carl könnte der großzügige Mäzen sein. Es hätte alles so einfach gemacht. Ich hätte meine Story, könnte von mir ablenken und beim Radiopreis auftrumpfen. Na, dann eben nicht. Einfach war noch nie mein Ding gewesen.
»Und? Heute keinen Kakao?«, fragte Carl, schaute wie ein Hündchen und zog seine Augenbrauen hoch. Der Mistkerl wusste, dass oben einer wartete, und wollte mich triezen.
»Kümmer du dich mal lieber um deine Kundschaft!« Passenderweise ging zeitgleich die Tür auf, und zwei sehr gepflegte Herren in Anzügen betraten das »Würz« und grüßten freundlich. Ich hatte sie hier noch nie gesehen, konnte mir auch nicht vorstellen, dass sie auf der Suche nach Lavendel oder Majoran waren. Vielleicht hatte Carl seine Spezialmischung doch salonfähig gemacht? Die Wirkung musste sich herumgesprochen haben, und selbst die edelsten Typen erschienen, um sich, unter der Ladentheke versteht sich, mit dem Zauberzeugs versorgen zu lassen. Ich beschloss, die drei Männer alleine zu lassen, und stahl mich unauffällig in Richtung Ladentür.
Ich hatte die Hand schon an der Klinke, als der eine sagte: »Guten Tag, wir sind von der Baufirma Batimo. Sind Sie Herr Nicolaisen, der Besitzer des ›Würz‹ und des dazugehörigen Hauses?« Carl nickte.
So würde man wohl kaum ein illegales Gespräch über potenzsteigernde Mittel einleiten. Ich ließ mir noch etwas Zeit.
»Wir haben eine gute Nachricht für Sie.« Ich trat hinter das Regal mit den abgepackten Nudelgewürzen und lauschte zwischen all’arrabbiata und aglio e olio dem Gespräch.
»Das Gebäude wird von Grund auf renoviert, teils saniert. Wirwerden bald mit den Arbeiten beginnen.« Durch die Lücken im Regal sah ich, dass Carls Gesichtsausdruck völlig emotionslos blieb.
»Sie kommen im Auftrag eines Investors und wollen das Haus kaufen, stimmt’s? So eine Anfrage hatte ich schon häufiger. Die Antwort lautet: nein! « Carl klang noch bestimmter als bei der Männerstandpauke, die er mir gestern gehalten hatte.
»Nein, nein. Sie sehen das ganz falsch!«
»Ich sehe das richtig. Sie wollen alles piekfein machen und dann die Mieten vervierfachen und so weiter. Und dann kommt hier ein Modeladen rein.« Immerhin sagte er nicht mehr Konfektionsgeschäft.
»Nein, all das nicht. Nichts wird abgekauft. Es gibt einen Investor, der alles von Grund auf renovieren lässt, auf seine Kosten. Aber Sie bleiben hier drin, auch in Ihrem Laden. Den sollen wir allerdings auch ein wenig auf Vordermann bringen.« Der eine vornehme Mann fuhr grinsend mit seinem Zeigefinger über die abgeschabte Tresenplatte. Carl blieb der Mund offen stehen. Mir auch.
»Welcher Investor sollte Interesse daran haben, Hunderttausende von Euro zu zahlen, ohne selber davon zu profitieren?«, fragte Carl. Die Männer zuckten mit den Achseln.
»Das haben wir uns auch gefragt. Aber es ist so. Wir haben das hier schwarz auf weiß. Und wenn Sie mögen, können wir gerne einen Kaffee trinken gehen, vielleicht dort drüben zu dem Italiener, und alles in Ruhe besprechen.« Der Herr von der Baufirma zeigte aufs »Piazza« gegenüber.
»Ist das diese versteckte Kamera?« Carl konnte nicht glauben, was gerade passierte. »Das ist doch Unsinn. Da wirft jemand Geld zum Fenster raus.«
»Wir haben so etwas auch noch nie erlebt. Die alten Baupläne lagen zwar vor, aber wir konnten nicht einmal einen Kostenvoranschlag machen auf die Schnelle, weil wir die Wohnungenund den Laden noch gar nicht kannten. Aber ein dicker Vorschuss ist schon eingegangen. Die Arbeiten können beginnen.«
»Sie erzählen Märchen!«, sagte Carl.
»Ich kann Ihnen wirklich nicht sagen, wer der Auftraggeber ist. Ich weiß nur, dass er in einer Radiosendung gehört hat, dass Ihr Haus kurz vorm Verfall steht.« Der Mann übertrieb absichtlich. Von Verfall hatte ich nie etwas gesagt.
Carl fixierte mich durch die Regalritzen. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass ich den Laden noch nicht verlassen hatte.
»Das hier sollen wir Ihnen geben.« Einer der Herren ließ seine Aktentasche aufrasten,
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