SECHS
jetzt schäbig und niederträchtig vor. Er puhlte betreten am Wachs der Kerze.
Corinna ahnte nichts von seinen Gedanken.
„Du musst dazu nichts sagen. Es ist schon okay.“
Ben nickte nur stumm.
„Es tut mir leid", sagte Corinna.
Etwas Überraschenderes hätte sie jetzt wohl kaum sagen können.
„Bitte? Was tut dir leid?“
„Dass ich dich ... dass ich so zickig war. Du scheinst ein echt netter Kerl zu sein und dich wirklich zu sorgen.“
Sie lächelte ihn freundlich und warm an.
„Ich bin kein netter Kerl. Glaub' mir.“
Corinna schüttelte den Kopf. Immer noch lächelnd.
„He! Ich bin froh, dass du aufgetaucht bist, Fremder. Ganz ehrlich. Ich wüsste nicht, was ich jetzt tun sollte. Mir wäre bestimmt die Decke auf den Kopf gefallen. Du lenkst mich ein bisschen ab.“ Sie schaute verlegen in die flackernde Kerzenflamme.
Ben war erleichtert, dass sie so dachte. Jetzt lächelte auch er.
„Man sollte meinen, dass ein Meter neunzig mehr als nur ein bisschen ablenken! Sie stehen immer im Weg.“
Sie lachte. Ihm fielen ihre makellosen Zähne auf und die Eigenart, nervös an dem Muttermal auf ihrem Kinn zu zupfen.
„Stimmt! Man sieht nicht viel, wenn du dich vor einem aufbaust", antwortete sie grinsend.
„Doch. Mich.“
Sie schwiegen verlegen.
„Du magst sie, hm?“, kam es nach einiger Zeit.
„Anna? Naja, ich kenne sie nicht wirklich. Aber sie ist mir sympathisch", antwortete Ben.
„So viel Engagement für ein bisschen Sympathie?“ Das „So viel“ betonte sie dabei sehr deutlich.
Ben zuckte mit den Schultern.
„Hätte ich nach dem Anruf der Polizei einfach weitermachen sollen, so tun, als ob nichts gewesen ist?“
„Wie du sagst. Du kennst sie ja gar nicht. Außerdem weißt du noch immer nicht, ob das Interesse auf Gegenseitigkeit beruht. Insofern, ja, das hättest du tun können.“
„Im Moment ist das alles nebensächlich“, entgegnete Ben.
In Corinnas Augen blitzte Skepsis auf.
„Na ja, wie ich meine Schwester kenne, wirst du nicht scheitern.“
„Und woran kann man scheitern?“
„Oh, an vielem. Wir sind sehr schwierig", antwortete Corinna geheimnisvoll lächelnd.
„Ach?“, kam es erheitert.
„Wie auch immer ... was auch immer daraus wird. Im Moment ist das mein kleinstes Problem“, sagte Ben.
„Und was ist dein Größtes? Dein schlechtes Gewissen?“
Ben schüttelte den Kopf.
„Nein. Wie wir sie wieder auf die Beine kriegen.“
„Wir?“ Dabei stützte sie das Kinn in die Hand.
Er lehnte sich etwas weiter über den Tisch und sah ihr tief in die Augen.
„Wenn du mir erlaubst, natürlich?“
Corinna legte den Kopf schief und grinste.
„Habe ich mich vorhin nicht klar ausgedrückt, Fremder?“
Er lächelte.
„Und was mein schlechtes Gewissen angeht ... damit werde ich wohl leben müssen.“
Corinna schüttelte energisch den Kopf.
„Es ist nicht deine Schuld. Du hast helfen wollen. Das ist alles.“
Die Wendung war überraschend.
„Das klang vorhin aber noch anders.“
„Ich weiß. Ich war wütend ... verwirrt", entschuldigte sie sich und blickte nachdenklich gegen die Decke.
„Wahrscheinlich hat meine Schwester einen Fehler gemacht.“
„Wie kommst du darauf?“, fragte Ben.
Jetzt senkte sie den Kopf wieder und schaute ihm in die Augen.
„Die Polizei ... hat sie dir nichts gesagt?“
„Man hat mir nur gesagt, dass man wegen fahrlässiger Körperverletzung ermittele.“
„Ich dachte, du wüsstest es ...“
„Ich wüsste was?“, fragte Ben, nun etwas angespannt.
„Die Polizei hat mir gesagt, dass alle Spuren darauf hindeuten, dass Anna die Kontrolle über den Wagen verloren hat. Warum, wussten die auch nicht. Sie ist gegen eine Mauer gefahren.“
Ben schwieg.
„Aber das ist noch nicht alles ...“, sie geriet ins Stocken, „... Anna hat dabei jemanden überfahren.“
Diese Nachricht traf ihn.
„Das ist ...“, stammelte er hilflos.
Als er sich wieder gefangen hatte, dachte er laut nach.
„Wenn die Polizei sagt, sie ermittele wegen fahrlässiger Körperverletzung, dann heißt das ...“
„... der Mensch lebt noch“, ergänzte Corinna.
„Ja", bestätigte er.
Und dann, wie aus dem Nichts, fiel ihm zweierlei ein. Das Eine wie das Andere ließ ihn schwer schlucken.
Er erinnerte sich jetzt an den genauen Wortlaut der Polizistin. Sie hatte davon gesprochen, dass sie „noch“ wegen fahrlässiger Körperverletzung ermittele. Der Dialog strömte ein.
Ist ihr etwas passiert? , hörte er sich sagen.
Nicht nur ihr ,
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