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SECHS

SECHS

Titel: SECHS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Gerhardt
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erinnerte er sich der Antwort.
    Das Nächste, woran er dachte, war die kleine Sofie und das, was sie ihm erzählt hatte.
    Zwei Unfallopfer, das eine angefahren, das andere eines, das jemanden angefahren hatte und beide lagen sie im selben Krankenhaus. Konnte daraus gefolgert werden, dass deren Schicksale einen Kausalzusammenhang bildeten? Oder anders: War die Wahrscheinlichkeit, dass Anna den Vater von Sofie angefahren hatte, nicht ziemlich groß?
    „Kennst du das Unfallopfer? Hast du seinen Namen?“, fragte er jetzt aufgeregt.
    Corinna schüttelte den Kopf.
    „Nein. Ich dachte gar nicht daran danach zu fragen, sondern bin gleich in das Krankenhaus gefahren. Außerdem glaube ich nicht, dass man mir das zum jetzigen Zeitpunkt verraten würde ... keine Ahnung.“
    „Ich glaube, das ist auch nicht nötig. Ich weiß, wer es ist.“
    Corinna starrte ihn verblüfft an.
    Ben berichtete von seiner Begegnung mit Sofie. Ebenso weihte er Corinna in seine Schlussfolgerungen ein. Während er erzählte, weiteten sich ihre Augen zunehmend. Der Schrecken des Tages bekam für sie eine weitere Dimension. Die beiden Mädchen taten ihr unendlich leid.
    Zum ersten Mal breitete sich ein längeres Schweigen aus. Das Leben um sie herum fühlte sich plötzlich falsch an, sie wollten nur noch weg, diesen Ort schnell verlassen. Also beschlossen sie kurzerhand, noch ein bisschen an der frischen Luft zu spazieren, um einen freien Kopf zu bekommen.
    Den größten Teil des Spaziergangs verbrachten sie sehr nachdenklich. Es wurde nur wenig gesprochen. Irgendwann, nach einer großen Runde, waren sie an Corinnas Wagen angekommen. Dort standen sie sich eine Weile verlegen gegenüber, bis Corinna die Initiative ergriff. Sie umarmte ihn, trotz der neuen und beklemmenden Erkenntnisse - oder vielleicht gerade deshalb.
    Als sie sich voneinander gelöst hatten, schaute sie ihn fordernd an, aber Ben zögerte. Ein schwaches Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Das reichte beiden. Dann stieg Corinna schnell in den Wagen, fuhr davon und Ben lief langsam, erneut tief in Gedanken versunken, seiner Wohnung entgegen.
    Etwas war jetzt anders. Ben spürte es. Ihn durchströmte ein warmes Gefühl. Doch das war keineswegs unbefleckt. Ein schlechtes Gewissen durchzog es, wie ein zuckender Nerv.
    Auch Corinna hatte mit ähnlichen Gefühlen zu kämpfen. Denn sie befürchtete, ihrer Schwester gerade in den Rücken zu fallen. Zudem kam, dass sie die Bürde der Verpflichtung schwer auf ihr lasten fühlte. Die Bürde, einer fremden Familie verpflichtet zu sein, die bestimmt unglaublich litt.
    Sie fasste einen Entschluss.

-29-
     
    Melanie und die Kinder waren zwischenzeitlich zu Hause angekommen. Obwohl ihren Töchtern tausend Fragen auf den Seelen brannten, hatten sie die Schwermut ihrer Mutter, mit der Kindern eigenen Intuition, sehr wohl erfasst und sie deswegen bis jetzt nicht mit ihren Fragen behelligt.
    Melanie stand nun in der Küche, wo sie wie in Zeitlupe das Gemüse für das Mittagessen schnitt. Dabei stürmten wieder die Bilder des Morgens auf sie ein - in einer quälenden Endlosschleife. Aber nicht nur diese, sondern auch Geräusche erklangen in ihr, wie ein unerträglicher Tinnitus - vor allem das Piepen des EKG und das Rauschen des Beatmungsgerätes.
    Während sie gedankenverloren dastand, hatte sich Sofie leise in die Küche geschlichen und auf den Platz ihres Vaters gesetzt. Sie beobachtete ihre Mutter still. Nach einer Weile wagte sie sich, ihre Frage herauszulassen.
    „Mama? Was ist mit Papa?“
    Zunächst reagierte Melanie nicht. Aber als die Frage zu ihr vordrang, die Fäden ihrer Gedanken wie ein Messer durchschnitt, drehte sie sich um.
    Als sie ihre Tochter sah, stockte ihr der Atem. Wut überkam sie.
    „Setz dich woanders hin!“, platzte es aus ihr heraus.
    Sofie zuckte zusammen. Sofort schossen ihr die Tränen in die Augen. Noch während die Kleine verstört vom Stuhl ihres Vaters krabbelte, realisierte Melanie, was sie da angerichtet hatte.
    Sie schlug das Messer auf die Theke, machte einen Satz und umarmte ihre Tochter - so fest sie nur konnte.
    „Baby, bitte verzeih' mir. Ich wollte dich nicht anschreien! Ja?“
    Sofie drückte ihr Gesicht gegen ihren Hals und Melanie fühlte die Feuchte ihrer Augen. Jede Träne, die an ihr herabrann, war wie ein bitterer Stich.
    „Psst.“ Sie streichelte ihr über den Kopf, wiegte sie auf und ab, so lange, bis sich Sofie wieder beruhigt hatte.
    Dann setzte sie ihre Tochter wieder auf Franks Stuhl

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