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SECHS

SECHS

Titel: SECHS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Niels Gerhardt
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zurück, ging vor ihr in die Knie und wischte ihr die Tränen aus dem Gesicht.
    „Weißt du, Papa schläft im Moment ganz fest.“
    „Aber dann“, sie schluchzte, „können wir ihn doch wecken?“
    „Nein. Papa schläft so tief, dass man ihn nicht wecken darf.“
    Sofie begriff nicht. Sie wollte doch mit ihm reden!
    „Im Schlaf erholt er sich. Je länger er sich ausruhen kann, desto schneller wird er wieder bei uns sein.“
    Sofie nickte jetzt. Aber die nächste Frage brannte ihr schon auf der Zunge.
    „Wird Papa wieder ganz gesund?“
    Das war genau die Frage, vor der sich Melanie gefürchtet hatte. Wie sollte sie darauf eine plausible Antwort geben, ohne zu viel zu versprechen, aber auch nicht jede Hoffnung zu nehmen? Wie sollte sie sich ausdrücken, ohne dass es wie ein Versprechen klang?
    „Kind, ich weiß es nicht. Wir müssen Papa erst einmal schlafen lassen.“
    „Und wie lange?“
    „Das kann ich dir nicht sagen. Ein paar Tage bestimmt.“
    Sofie begriff, was das bedeutete.
    „Aber dann ist er Weihnachten ja gar nicht zu Hause!“, protestierte sie.
    Sie schüttelte den Kopf.
    „Nein. Leider nicht.“
    Melanie strich ihr tröstend über die Wange.
    „Meinst du, er träumt von mir?“, fragte Sofie nach einem Moment des Nachdenkens.
    „Ganz sicher tut er das!“, antwortete Melanie fest.
    Sofie lächelte.
    „Die Freundin von Ben schläft bestimmt auch. Wenn sie aufwacht, dann ist Papa nicht so alleine", sagte sie dann.
    Melanie schaute verwirrt.
    „Wer ist Ben?“
    „Ben aus dem Krankenhaus!“
    „Hast du im Krankenhaus mit jemandem gesprochen? Ist das ein Pfleger oder ein Arzt?“
    Sofie schüttelte den Kopf.
    „Nein! Ben war da, als ich aufgewacht bin.“
    Einen Moment glaubte Melanie, ihre Tochter leide so sehr, dass sie sich einen Phantasie-Freund erdacht hatte, einen, mit dem sie ihren Kummer teilen konnte.
    „Hast du von Ben geträumt?“
    „Den habe ich nicht geträumt.“
    „War das ein Besucher, so wie wir?“
    Sofie nickte.
    Melanie hegte ein grundsätzliches Misstrauen gegenüber Männern, die einfach ihre Töchter ansprachen. Da konnte Frank noch so oft sagen, dass sie die Mädchen nur mit Angst und Misstrauen impfe.
    Da es nicht ausgeschlossen war, dass dieser Ben erneut im Krankenhaus auftauchen könnte, würde sie nach ihm Ausschau halten.
    „Du weißt noch, was wir dir zu Fremden gesagt haben, oder?“
    „Der war aber nett“, erwiderte Sofie trotzig.
    „Gerade dann!“
    „Hat er sonst noch etwas gesagt oder getan, wovon ich wissen müsste?“
    Sofie schüttelte den Kopf.
    Damit gab sich Melanie erst einmal zufrieden. Sie wollte das Thema nicht weiter vertiefen.
    In diesem Moment klingelte das Telefon. Als Sofie danach greifen wollte, fischte Melanie es rasch von der Tischplatte. Das Display zeigte eine unbekannte Nummer. Melanie wurde es heiß und kalt. Das verhieß nichts Gutes.
    Mit einer Handbewegung bedeutete sie Sofie schnell, die Küche zu verlassen. Als sie, wenn auch widerwillig, verschwunden war, nahm sie das Gespräch an.
    „Frau Brenner? Doktor Walter Reitz, Unfallklinik. Hier ist jemand, der unbedingt zu ihrem Mann vorgelassen werden will.“

-30-
     
    Frank sah sich die Augen aufreißen.
    Da waren wieder die Stimmen. Mal nur ein Flüstern, dann wieder laut. Manchmal nur Wortfetzen, dann wieder vollständige Sätze. Alles verzerrt, wie aus einem schlecht eingestellten Radio.
    ... ch noch schlafen?, von einer Frauenstimme.
    Dann ein Mann.
    ...wachen.
    ...tut so weh.
    ...da...sie wieder...
    Wer ist da?, rief Frank in die Dunkelheit.
    Er vernahm ein dumpfes Hämmern. Es klang, wie die Trommel auf einer Galeere, mit der den Rudersklaven die Schlagzahl vorgegeben wird. Er begriff, dass das sein Herz war.
    Noch einmal rief er. Keine Antwort.
    Der schwarze Tunnel kam. Frank zog es wieder in seinen Körper. Dann dröhnten die Zahlen mit der Lautstärke und Gewalt eines Orkans in ihm.
    122338394549812233839454981223383945498122338394549812233839454981223383945498122338394549812233839454981223383945498
    Frank schrie. Er wollte, dass es aufhört.
    Wach auf. Du musst aufwachen.
    Er fühlte sich schwitzen.
    Wie ein Seismograph, der ein Beben der Stärke sieben zu Protokoll gibt, verzeichnete das EKG heftige Ausschläge und löste Alarm aus.
    1223383945498122338394549812233839454981223383945498122338394549812233839454981223383945498 ...
    Die glühenden Augen waren wieder da. Sie schossen auf ihn zu. Doch dieses Mal war das Bild klarer. Er konnte die Frau erkennen,

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