SECHS
jedes Detail. Die braunen, hochgesteckten Haare, die weit aufgerissenen Augen, die feine Nase, ja, sogar das Muttermal neben ihrem rechten Mundwinkel. Auch ihr Schreien hallte deutlich in seinem Geist.
Dann erschien wieder das Licht. Weit entfernt am Horizont. Andere Stimmen erklangen. Sie waren anders. Bruchstückhaft, dabei dennoch sauber und klar.
... chon das zweite Mal. Was...da los? , hallte es durch den Lichtfleck in sein Nichts.
...icht ich..ig sediert?...ie erlebt!
...Dos.s..höhen.
...D..micum.
Dann zog sich das Licht langsam zurück, der Zahlenreigen ebbte ab und die Tür verschwand. Das Gefühl, dass sich etwas dagegen wehrte aus seinem Geist verdrängt zu werden, aber blieb.
Frank schwebte wieder. Langsam. Gleichförmig.
-31-
Rentsch hatte eine Menge Gäste eingeladen. Viel zu viele, wie Swantje Rentsch, mit Hinweis auf die desolate Finanzlage, bemerkte. Schließlich bezahle sich der Kredit für das Haus nicht von alleine ab und der Cayenne, der draußen parke und jeden Monat weit mehr als nur die Raten verschlänge, auch nicht. Da reiche seine Besoldung nach B7 bald nicht mehr aus.
In der Tat bildete Berlin in dieser Besoldungsgruppe das Schlusslicht. Andere Länder zahlten hier deutlich mehr. Das wusste er natürlich. Trotzdem langweilte ihn diese Litanei unsäglich - seine Frau zeterte, wann immer sich ihr die Gelegenheit dazu bot.
Mittlerweile ignorierte er es nur noch, dachte dabei aber wenig Freundliches. Es laut auszusprechen, wagte er sich allerdings nicht. Er brauchte sie. Noch.
Bislang hatte er noch jeden seiner Geburtstage groß gefeiert, und die Leute waren nun daran gewöhnt. Wie stünde er denn da, wenn er jetzt plötzlich damit aufhörte, nur noch kleckerte, anstatt zu klotzen?
Als Leiter der Senatskanzlei hatte er viele Verpflichtungen und dazu zählte eben auch sein Geburtstag.
Davon abgesehen war Beschränkung ohnehin nicht seine Sache. Schließlich war seine ganze verfluchte Kindheit von Verzicht geprägt gewesen. Die ärmlichen Verhältnisse, aus denen er stammte, hatten sich ihm so eingebrannt, wie dem hungrigen und ausgemergelten Wolf der Geschmack seiner letzten Beute.
Rentsch hatte stets zweimal so hart arbeiten müssen wie andere und absolut jeder seiner Wege war steinig gewesen – vor allem der in die Position des Staatssekretärs. So aber hatte ihn das Leben wenigstens gelehrt, dass man alles erreichen konnte, wenn man nur Beharrlichkeit besaß und auch frühzeitig verwertbare Abhängigkeiten schaffte.
Dieser harten Schule war es zu verdanken, dass ihm nun sämtliche Abteilungen der Senatskanzlei unterstellt waren. Sie alle hatten ihm zuzuarbeiten.
Und jetzt, endlich, war er ein satter Wolf.
Aber wo Licht ist, da ist auch Schatten. Sein Amt lag ebenso wie das des Bürgermeisters, in den Händen des Wählers. Kamen die auf die Idee einer anderen Partei das Zepter in die Hand zu wählen, würde es vorbei sein mit dem Leben an den Schaltstellen der Macht.
Dann war er arbeitslos. Bedeutungslos. Wieder der hungrige Wolf von einst.
Doch er war guter Hoffnung, dass die Angst vor dem Ende einer jeden Legislaturperiode bald vorbei sein würde.
Denn der nächste Jackpot war seiner. Und mit Sirkowskys Hilfe würde er ihn abräumen.
Wie das letzte Mal allerdings durfte er nicht noch einmal scheitern. Zum Stolperstein der „Operation Steinmann“ war geworden, dass er keinen Hebel gefunden hatte, um diesen starrsinnigen Professor zur Raison zu bringen. Es gab keine Kinder, keine Frau, nicht einmal eine Freundin, mit der man hätte Druck machen können. Und als Steinmann dann drohte, ihn ans Messer zu liefern, war ihm keine andere Wahl geblieben, als Sirkowsky von der Leine zu lassen - auch wenn ihn das um eine Million gebracht hatte. Aber wenigstens sah es nun wie ein Unfall aus. Nein, es sah nicht nur danach aus, es war einer.
Mea Culpa. Alles Anfängerfehler! , gestand er sich ein. In solchen Dingen war er unumwunden ein Anfänger. Abgehakt!
Wie sagt man so schön? Neues Spiel, neues Glück.
Vielleicht kam der nächste Anruf schon diese Woche, vielleicht aber auch später. In jedem Fall würde er kommen, und daran änderte auch eine Wahrscheinlichkeit von lediglich 0,00000071511 Prozent nichts. Das Schöne an dieser Zahl nämlich war, dass es sich nicht um die Wahrscheinlichkeit handelte, mit der er zu kalkulieren hatte. Seine Gewinnprognose lag bei nahezu hundert Prozent - wenn er es beim nächsten Mal richtig anpackte.
Rentsch lächelte.
Wie auch immer.
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