SECHS
Mischung aus Scharfsinn, Zufall und Glück, dessen war er sich sicher, würde sich vielleicht auch das „Wer“ klären lassen.
Es klopfte. Raith drehte sich um.
„Herein.“
Die Tür öffnete sich und sein Assistent Reimar, mit seiner großen, dürren Statur, das genaue Gegenteil von Raith, lugte durch die Tür.
„Stör' ich?“
„Wie immer", antwortete Raith.
„Sehr gut! Ich habe hier die Ergebnisse der Analyse.“ Reimar wedelte mit einem Stapel Papier.
„Was steht drin? Ich verstehe den Kram ohnehin nicht.“
„Nichts. Zumindest die Bodenprobe ergibt nichts, was uns entscheidend weiterhilft.“
Raith nickte. Das Ergebnis überraschte ihn nicht wirklich.
„Und warum grinst du trotzdem so frohgemut?“, fragte Raith.
„Na ja. Ich habe da etwas, das vielleicht hilfreicher ist.“
Raith zog die Stirn in Falten und setzte sich schwer in seinen Bürostuhl.
„Die Frau hatte ein Haar unter dem Nagel ihres Ringfingers und es stammt nicht von ihr.“
„Und?“
„Das Haar wurde einer Isotopenanalyse unterzogen und die DNA-Analyse ist auch gelaufen. Es stammt von einer Person, die sich in der letzten Zeit im Osten aufgehalten haben muss. Ukraine, Russland oder so.“
„Und das nennst du hilfreich? Die Frau ist Russin und ihr Umfeld demnach wahrscheinlich auch", stellte Raith fest.
„Ukrainerin. Sie ist Ukrainerin“, korrigiert Reimar, „aber warte doch erst mal ab!“
Reimar kannte seinen Chef als ungeduldigen Menschen, aber er hatte auch gelernt, sich Gehör zu verschaffen.
„Die DNA-Analyse ergibt, dass das Haar von einem Mann stammt ...“
„Soweit war ich schon – auch ohne DNA-Analyse", fiel ihm Raith ins Wort.
„Natürlich warst du das. Aber hast du auch gewusst, dass das Haar frisch herausgerissen wurde?“
Reimar genoss das nun einsetzende Schweigen. Sein Chef saß ihm gegenüber, hielt den Blick auf die Schreibtischplatte gesenkt und grübelte über die gerade erhaltene Information. Reimar, wieder grinsend, setzte sich.
„Und nun denk mal darüber nach, wie viele Personen ukrainischer oder russischer Herkunft in dem Krankenhaus herumlaufen, denen sie kurz zuvor den Kopf gestreichelt haben könnte?“
„Nicht viele ...“, gab er zu. Aber trotzig setzte Raith nach: „Hast du es überprüft?“
„Nein. Wie denn auch? Das Ergebnis der Analysen ist ja gerade erst da.“
„Aha. Sonst noch was?“
„Noch eines. Der Arzt, der Zwetkow gefunden hat, hatte keinen Dienst zur mutmaßlichen Tötungszeit. Das war jemand anderes.“ Reimar fummelte einen Zettel aus der Tasche seiner Jeans.
„Moment, ich hab's hier aufgeschrieben.“
Er entfaltete das Blatt.
„Das war eine Frauke Zanner.“
Raith blickte über den Rand seiner Brille hinweg und wartete mit hochgezogener Stirn auf weitere Informationen. Reimar kannte den Blick.
„Nein. Sie wurde noch nicht befragt. Die Frau dürfte jetzt aber wohl wach sein.“
„Du willst mir jetzt nicht sagen, dass die Befragung deshalb noch nicht stattgefunden hat, weil die Dame ihren Schönheitsschlaf hält, oder?“
Wenn Reimar eines nicht mochte, dann war es, Inkompetenz unterstellt zu bekommen. Gleich ob offen oder subtil. Und hier hatte er das Gefühl, dass genau das geschah.
„Ich bin vielleicht nicht ganz so lange im Geschäft wie du, aber ich weiß auch, dass die ersten Stunden die entscheidenden sind“, sagte Reimar. Raith lehnte sich in seinem Bürostuhl nach hinten und blickte gelangweilt.
„Wir wussten bislang einfach nicht, dass sie zum Todeszeitpunkt Dienst hatte. Den mussten wir ja erst mal genau bestimmen.“
„Den was?“, hakte Raith nach und starrte wieder vor sich auf die Tischplatte. Dabei ließ er einen Stift mehrmals zwischen Daumen und Zeigefinger durchgleiten, so dass dieser immer wieder mit einem leisen Klack auf die Tischplatte prallte. Nach ein paar „Klack“, dann die Antwort.
„Na, den Zeitpunkt ihres Todes.“
„Wie auch immer. Kümmere dich darum. Vielleicht hat diese ...“
„Zanner“, half Reimar nach.
„... diese Zanner irgendwelche Information, die uns weiterbringen und unserem Freund näher.“
„Das ist der Plan. Ich werde der Dame gleich einen Besuch abstatten.“
-49-
Der gestrige Tag wühlte sich noch immer durch Fraukes Eingeweide. Und das war auch gut so. Seit dem Tod ihres Mannes und ihrer Tochter vor rund drei Jahren, kannte sie nichts anderes als Arbeit und je härter die sich gegen sie selbst richtete, desto lieber war ihr das - normalerweise. Die gestrigen
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