SECHS
verdrehte die Augen. Rentsch war ein Idiot. Ein Idiot, der glaubte, er befände sich inmitten eines Agenten-Thrillers. Einer, der es liebte, irgendwelche kryptischen Nachrichten zu verschicken! Die Hälfte, der von Rentsch erdachten, und mit Beginn ihrer Zusammenarbeit vereinbarten „Geheimwörter“, hatte Sirkowsky bereits wieder vergessen. An die Bedeutung des Wortes WODKA allerdings erinnerte er sich noch: W eitere O peration. D ringend K ommen. A sap.
Die zweite SMS hatte weit weniger geistige Gestaltungshöhe.
Wo stecken Sie?
Der Mann stand offenbar unter Druck. Und das machte ihn erst recht zum Idioten, zu einem gefährlichen, weil unkalkulierbaren Idioten.
Er erinnerte sich noch gut an einen Job in Paris. Der war nur deshalb so fatal aus dem Ruder gelaufen, weil sich sein Auftraggeber Ramiz, ein in Griechenland glückloser Start-up-Mafioso, nicht an die Regeln gehalten hatte. Bis heute hatte Sirkowsky keine Ahnung, wie es Ramiz geschafft hatte, seinen Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Denn als der Auftrag, einen im Weg stehenden Konkurrenten auszuschalten, gerade in trockenen Tüchern war, stand Ramiz vor seiner Hoteltür. Sirkowsky hatte ihn hereingelassen anstatt ihn einfach durch die geschlossene Tür zu erschießen. Ein Fehler, über dessen Unprofessionalität er sich bis heute ärgerte. Denn was Sirkowsky nicht geahnt hatte war, dass sich im Gefolge von Ramiz auch ein Sondereinsatzkommando der französischen Polizei befand. Sirkowsky war sich auch heute noch sicher, dass sie nicht seinetwegen gekommen waren - Ramiz höchstselbst stand auf der Abschussliste. Aber sie hätten auch ihn nicht unbehelligt gelassen, sondern ihn geradewegs mit eingesammelt.
Im Gegensatz zu seinem Auftraggeber war Sirkowsky nicht wie angewurzelt stehengeblieben, als die Eingangstür nach innen explodiert war. Noch während das Holz wie ein Regen aus Kometensplittern durch die Luft geschossen war, hatte sich Sirkowsky mit einem beherzten Sprung aus dem Fenster in Sicherheit gebracht. Die Blendgranate, die nur einen Augenblick später das Zimmer mit ihrem gleißenden Magnesium-Blitz erfüllte, verfehlte so ihre Wirkung. Der Polizist, abgestellt die Rückseite zu sichern, war tot, noch bevor dieser überhaupt richtig begriffen hatte, dass da sein Ende auf ihn zugesprungen kam.
Dann erinnerte sich Sirkowsky, dass er nur noch gerannt war. Von allen Dingen, die er mit sich führte, aber im Zimmer zurücklassen musste, war der Verlust seiner Vintores P90 am schmerzlichsten. Sie war immer dann eingesetzt worden, wenn es nicht zu erwarten war, dass er seinem Ziel so nahe kam, dass er seine Schlinge würde einsetzen können. Und bei diesem Job war damit zu rechnen gewesen.
Seit jenem Tag brach er nie wieder mit auch nur einer seiner Regeln. Nicht mit den altbewährten und auch nicht mit der neuen Regel, den Auftraggeber aus dem Weg zu räumen, sollte der sich ihm auch nur auf einen Kilometer nähern.
Was Rentsch anging, so würde er sich noch einen Moment Zeit lassen, um seine nächsten Schritte zu überdenken. Schließlich hatte er sein Geld für Steinmann noch nicht erhalten.
Bezüglich einer anderen Person bestand, wenn er nun hier bliebe, sofortiger Handlungsbedarf - in eigener Sache. Mit einem verächtlichen Schnaufer schlug er den Deckel des Koffers wieder auf.
-48-
Roland Raith, leitender Ermittler der eingerichteten Mordkommission „Marija“, stand in seinem spartanisch möblierten Büro hinter dem Schreibtisch und beobachtete das Getümmel auf der Straße. Schneeflocken wurden vom Wind hin- und hergepeitscht und durch das einfach verglaste Fenster zog es wie Hechtsuppe. Während er so hinausstarrte, dachte er über seinen aktuellen Fall nach, versuchte im Geiste ein erstes Bild zu modellieren.
Womit hatte er es hier zu tun und vor allem mit wem? Nicht, dass ein Mord grundsätzlich ungewöhnlich war, natürlich nicht. Mit derlei Taten sah er sich seit rund zwanzig Jahren täglich konfrontiert: von seinem ersten Fall, dem Mord an einer Rentnerin, der das Ende eines Besenstiels in der Pfuhle ihres Halses steckte, bis zu seinem letzten Fall, der mit nichts weiter als einem Unterkiefer begonnen hatte. Erst nach und nach, im Zuge der Ermittlungen, waren die fehlenden Teile aufgetaucht und hatten ihn – buchstäblich - zur kompletten Leiche geführt.
Nein. Ein Mord und der Anblick des Todes war der Normalfall. Und so war auch nicht der Tod von Marija Zwetkow oder das Finden des Täters die Herausforderung, es war
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