SECHS
mit jedem Mal, wenn er schweißgebadet aufwachte, hatte er das Gefühl, dass sich die eine Stimme noch wütender angehört hatte, noch enttäuschter, noch fordernder war, als im Traum zuvor.
Und dann war da auch noch das Gefühl der Fremdbestimmtheit. Es suchte ihn heim, wenn er nicht schlief, erschöpfte ihn fast noch mehr, als der Schlaf selbst.
„Keine Sorge, ich will nicht darüber reden“, hörte er sie sagen.
Worüber?
Melanie hielt ihm einen Zettel vors Gesicht.
„Du hast gewonnen, Frank.“
„Gewonnen?“
Er hatte keine Ahnung, was das für ein Zettel war, geschweige denn davon, was er gewonnen haben sollte.
Melanie musterte ihn irritiert.
„Im Lotto, Frank!“
Frank dachte angestrengt nach. Nein. Er erinnerte sich nicht. Nicht daran, einen Lottoschein ausgefüllt zu haben, ebenso wenig daran, einen abgegeben oder auch nur abgeholt zu haben. Er schüttelte den Kopf. Aus seinen Augen loderte die pure Verzweiflung.
„Frank, diese Quittung hast du mir vor nicht einmal zwanzig Minuten in die Hand gedrückt. Erinnerst du dich wenigstens daran?“
Etwas rührte sich gerade in ihm, zuckte wie eine saftige, weiße Larve, die sich ungestört im Dunklen versteckt hatte, nun aber aufgescheucht worden war. Er massierte seine Schläfen. Die Fixateure in seinen Armen quietschten dabei wieder.
„Himmelherrgott, ich wünschte ich könnte!“, schrie er sie an. Melanie zuckte zurück.
Frank sackte in sich zusammen.
„Tut mir leid! Tut mir leid!“ Er streckte die Hand beschwichtigend in ihre Richtung, konnte seiner Frau dabei aber nicht in die Augen schauen.
Nach einem kurzen Moment verlegener Stille sagte Melanie:
„Schon gut. Ich glaube, das hat alles irgendwie mit deinen Träumen zu tun.“
Er nickte – vor allem, weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte. Melanie zog den Besucherstuhl heran und setze sich.
„Die Zahlen, die du träumst ... du hast sie getippt, jedenfalls bis auf die Superzahl. Das war keine Telefonnummer.“
Er drehte sich ihr wieder zu.
Telefonnummer?
„Willst du denn nicht wissen, wie viel?“, fragte Melanie und zwang sich dabei zu einem Lächeln.
Er nickte.
„Mehr als elf Millionen, Frank!“
Er nahm es zur Kenntnis, aber antwortete nicht. Er war abgelenkt. Das Zucken nahm gerade zu, wurde nervöser und nur darauf richtete sich seine Aufmerksamkeit. Das verhieß nichts Gutes für die Nacht.
„Verstehst du jetzt, Frank? Das erklärt doch deine Träume?“
Er bezweifelte das. Die Träume, die Zahlen, all das hatte sich stets düster und bedrohlich angefühlt. Sie schienen ihm mehr wie eine Warnung, denn wie eine Verheißung, über die er sich freuen sollte. Die Träume würden wieder kommen. Ganz sicher. Das Geld half ihm nicht. Trotzdem, um Melanie nicht zu enttäuschen, lächelte er schwach.
Ab da bekam er nicht mehr viel von dem mit, was Melanie ihm sonst noch erzählte, und als Melanie irgendwann gegangen war, schlief er ein. Und Frank träumte. Die eingepflanzte Stimme war wieder da. Dröhnend, wütend, protestierend. Doch etwas war neu. Da war ein Unterton von Verzweiflung.
-77-
Unmittelbar nachdem Rentsch zu Hause angekommen war, machte er sich daran, die zweite Phase der „Operation Brenner“ einzuläuten. Das hieß erst einmal darüber nachzudenken, wie er weiter vorgehen musste - und zwar gründlich. Aus der verpatzten Sache mit Steinmann hatte er gelernt, dass man, nachdem man seine Zähne ins Opfer geschlagen hatte, besser noch einmal nachfasste. Nur so konnte man sichergehen, dass es sich nicht noch im letzten Moment losriss. Wichtig vor allem bei einer solch fetten Beute wie dieser.
Er wanderte durch sein Arbeitszimmer. Hier und da rückte er Elefanten zurecht, begradigte schiefhängende Bilder oder starrte einfach nur aus dem Fenster. Das gab ihm Ruhe und die nötige Konzentration.
Die erste Frage, die er sich stellte, war die, ob er Sirkowsky nun auf den Plan rufen sollte? Dagegen sprach, dass der blöde Hund sich zu einem unkalkulierbaren Risiko entwickelt hatte. Wenn er jemanden beseitigen sollte, dann versiebte er es und wenn nicht, dann richtete er gleich ein Gemetzel an. Darüber hinaus ließ die unerledigte Sache mit seiner Frau Zweifel an Sirkowskys Loyalität aufkommen. Sicher, er hatte ihm keine Freigabe erteilt, insofern gab es auch keine Illoyalität zu beklagen - jedenfalls noch nicht. Aber er kannte seine Frau. Sie hatte ihn sicher um den Finger gewickelt. Denn dass Swantje nach einem Zusammentreffen mit Sirkowsky - und er
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