SECHS
nicht wollte, dass sie durchstartete und einfach vorbeifuhr, sah sie Juliane Fay auf dem Bürgersteig laufen. In ihre Richtung. Dieser Anblick gab ihrer Wut neuen Auftrieb, blies jeden Zweifel fort wie die Druckwelle der Bombe ihren Entschärfer.
Melanie machte sich gar nicht erst die Mühe einen Parkplatz zu suchen. Sie blieb mitten auf der Straße stehen, sprang aus dem Wagen und rannte direkt auf die völlig verdutzte Frau zu. Melanie war noch nicht ganz bei ihr angekommen, da schrie sie Juliane Fay schon entgegen:
„Was wollen Sie von meinem Mann?“
Fay war die Überraschung ins Gesicht geschrieben und sie blieb wie angewurzelt stehen. Keine zehn Meter von ihrer Wohnung entfernt. Melanie wartete eine Antwort gar nicht erst ab. Als sie die Frau erreicht hatte, schlug sie ihr einmal rechts und links ins Gesicht.
Juliane Fay schwankte zurück. Sie wischte sich das Blut von der geplatzten Unterlippe, schaute ungläubig erst auf den roten Streifen quer über ihrem Handrücken und dann zu Melanie. Dann glühte die Wut auch in ihren Augen auf. Fay sprang auf Melanie zu, krallte sich in ihre Haare und drückte sie in die Knie.
„Er liebt mich! Hast du gehört? Mich!“, keifte sie und riss Melanies Kopf bei jedem ihrer Worte hin und her.
Melanie begriff, dass sie dieser Furie nicht viel entgegenzusetzen hatte - nicht aus dieser Position heraus. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als jede Bewegung mitzugehen, sei es auch nur um den Schmerz kleinzuhalten. Dabei aber geschah es. In der Rückwärtsbewegung stolperte Fay. Dem natürlichen Reflex folgend, ihren Körper wieder in die Balance zu bringen, den drohenden Sturz abzuwenden, ließ sie Melanie los. Die nutzte ihre Chance. Blitzschnell richtete sich Melanie auf und gab ihr den finalen Stoß. Und der fällte Fay, ließ ihren Hintern hart auf die Pflastersteine schlagen.
Gerade als Melanie sich auf Fay stürzen wollte, nahm sie wahr, dass viele Augen auf sie gerichtet waren. Schaulustige hatten sich eingefunden, beobachteten den Kampf aus sicherer Distanz. Das ließ Melanie zur Besinnung kommen. Ebenso wie Juliane Fay. Auch sie blickte sich um und rappelte sich zügig auf. Die Leute zerstreuten sich. Manche mit einem Kopfschütteln, andere mit einem mitleidigen Lächeln.
Wie zwei Boxer standen sich beide gegenüber und belauerten einander.
„Woher kennen Sie meinen Mann?“
„Oh, er hat mich geschult“, Fay lächelte, “und er war gut.“
Melanie lächelte ebenso spöttisch zurück.
„Und zum Dank haben Sie ihn umgefahren? Ich glaube eher, er will Sie nicht, und deswegen hatten Sie es auf ihn abgesehen. So ist es doch in Wirklichkeit!“
Fay schnaufte verächtlich.
„Denken Sie, was Sie wollen.“
Fay klopfte ihre Kleidung ab.
„Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe!“
Fay marschierte auf sie zu, versuchte sich zwischen Melanie und der mit Graffiti besprühten Mauer vorbeizudrücken. Melanie wirbelte herum und ergriff ihren Arm.
„Ich werde Ihnen die Hölle heißmachen, wenn Sie sich noch einmal in seine Nähe wagen“, zischte sie.
Fay hielt Melanies Blick trotzig stand, riss sich dann los und schritt betont gelassen in Richtung ihrer Wohnung davon. Melanie blickte ihr noch einen Moment nach. Dann, nachdem Fay im Eingang verschwunden war, verließ auch sie die Arena. Als sie hinter dem Steuer ihres Wagens saß, fing das Zittern an.
Sie brauchte etliche Minuten, um die Kontrolle wiederzuerlangen. Während dieser Zeit bemerkte sie weder das protestierende Hupen hinter sich, noch die wütend gestikulierenden Autofahrer, die das Hupen bereits resigniert eingestellt hatten.
Was würde sie jetzt alles für eine Zigarette geben! Eine, die ihr darüber Klarheit verschaffte, was jetzt zu tun oder auch nur zu denken war. Wieder stieg die Verzweiflung in ihr hoch und mit ihr neue Tränen.
Nachdem diese Welle abgeebbt war, wollte sie eine zweite unbedingt vermeiden. Also startete sie den Wagen und fuhr los. Das half. Einige Kilometer weiter war sie wieder in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen.
Sie musste einfach herausfinden, ob an den Worten der Frau etwas dran war. Nur so konnten dieses brennende Gefühl der Ungewissheit, das Gefühl zu ersticken, die Übelkeit und die Angst endlich verschwinden. Sie hoffte, dass Fay log.
Und wenn nicht? Dann würde ihre Welt zwar endgültig zusammenbrechen, aber sie hatte wenigstens Klarheit.
Sie wendete den Wagen. Das neue Ziel lag in der Richtung, aus der sie gekommen war: Frank.
-74-
Das war genau
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