Sechseckwelt 01 - Die Sechseck-Welt
gestellt – keinerlei Achsenneigung. Aber das verändert sich auf künstliche Weise. Und – sehen Sie! Ich könnte ewig weitermachen, und Sie würden nie genug wissen.«
»Wenn ich mich nun weigere?« fragte Vardia und hob ihren Degen.
Mit derselben blitzschnellen Bewegung, die schon bei dem Kampf am Vortag zu bemerken gewesen war, schnellte Ortegas Schlangenkörper wie eine zusammengedrückte Feder hinaus, riß den Degen an sich und war in weniger als einer halben Sekunde wieder hinter dem Schreibtisch. Er sah sie traurig an.
»Sie haben überhaupt keine Wahl«, sagte er leise. »Kommt ihr jetzt alle mit?«
Sie folgten dem Ulik-Botschafter widerwillig, aber resigniert. Er führte sie wieder den langen, gewundenen Korridor hinunter, durch den sie am Vortag hereingekommen waren, und allen kam es vor, als wollte der Weg nie enden.
Nach etwa einer halben Stunde stellten sie fest, daß der Korridor sich in einen großen Raum öffnete. Drei Seiten waren nackte, kunststoffartige Wände, ähnlich denen in Ortegas Büro, aber ohne Verzierungen. Die vierte war völlig schwarz.
»Das ist das Portal«, erklärte Ortega. »Wir benutzen es, um zwischen unseren eigenen Hexagons und Zone hin- und herzugelangen, und ihr benutzt es für eure Zuweisung. Bitte, habt keine Angst. Das Portal wird eure Persönlichkeit nicht verändern, und nach der Anpassungszeit werdet ihr feststellen, daß ihr geistig besser in Form seid als vorher. Für das kleine Mädchen hier wird der Durchgang bedeuten, daß die Normalität wiederkehrt, daß die Sucht geheilt ist, daß die Einschränkungen ihres Intelligenzquotienten und ihrer Fähigkeiten aufgehoben werden. Sie mag natürlich immer noch eine eher dumpfe Arbeiterin sein, wird aber auf keinen Fall schlechter dastehen als vor ihrer Sucht.«
Keiner von ihnen stürzte durch das Portal.
Schließlich wurden sie von Ortega gedrängt.
»Die Tür hinter euch ist geschlossen. Niemand, nicht einmal ich, kann in Zone zurück, bevor er zuerst in einem Hexagon gewesen ist. So funktioniert das System.«
»Ich gehe als erster«, sagte Brazil plötzlich und trat einen Schritt auf das Portal zu. Er spürte eine große Hand auf seiner Schulter, die ihn zurückhielt.
»Nein, Nate, nicht jetzt«, flüsterte Ortega. »Als letzter.«
Brazil war verwirrt, begriff aber die Absicht. Der Botschafter wollte ihm etwas sagen, das die anderen nicht hören sollten. Brazil nickte und wandte sich an Hain.
»Wie wäre es mit Ihnen, Hain? Oder soll ich wieder auf Sie losgehen? Wir sind nicht mehr in der Botschaft.«
»Beim erstenmal haben Sie mich überrascht, Captain«, erwiderte Hain höhnisch. »Aber wenn Sie in Ruhe nachdenken, wissen Sie, daß ich Sie fertigmachen kann. Botschafter Ortega hat Ihnen das Leben gerettet, nicht mir. Ich werde trotzdem gehen. Dort draußen liegt meine Zukunft.« Damit schritt Hain zuversichtlich in die Schwärze hinein.
Die Dunkelheit schien ihn augenblicklich zu verschlucken. Sonst war nichts zu sehen.
Vardia und Wu Julee blieben regungslos stehen.
Ortega ergriff Wu Julees linken Arm und drängte sie zu der schwarzen Wand. Sie schien nicht protestieren zu wollen, bis sie ganz nah an die Dunkelheit herangekommen war, dann blieb sie plötzlich stehen und schrie: »Nein! Nein!« Sie drehte den Kopf und starrte Brazil flehend an.
»Nur zu«, sagte er leise, aber sie riß sich los und lief zu ihm zurück.
»Sie müssen gehen«, sagte Brazil. »Sie müssen. Ich werde Sie finden.«
Sie klammerte sich an ihm fest. Plötzlich wurde sie mit solcher Heftigkeit von ihm fortgerissen, daß Brazil zu Boden stürzte. Ortega schleuderte sie im nächsten Augenblick in die Schwärze.
Sie schrie auf, aber der Schrei riß ab, als die Dunkelheit sie aufnahm, so plötzlich, als hätte man eine Schallaufzeichnung schlagartig abgeschaltet.
»Das ist manchmal wirklich unerfreulich«, sagte Ortega bedrückt. Er drehte sich um und sah Brazil an, der sich aufraffte. »Alles in Ordnung?«
»Ja«, sagte Brazil und sah dem Wesen in die traurigen Augen. »Ich verstehe, Serge.«
Ortega streckte den rechten oberen Arm aus und drückte Brazil an sich. In seinen Augen standen Tränen.
»Mein Gott!« rief der Schlangenmann. »Wie kann die Größe in Menschen so ungeliebt sein?« Er ließ Brazil los und drehte sich nach Vardia um, die sich nicht von der Stelle gerührt hatte. In ihrem geordneten, geplanten Leben war sie solche Umwälzungen einfach nicht gewohnt.
Brazil überlegte kurz und glaubte, die Lösung
Weitere Kostenlose Bücher