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Second Face

Second Face

Titel: Second Face Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Philipps
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essen?«
    »Nee, keinen Hunger.«
    »Ach, komm schon, ein Thüringer Bratwürstchen. Die isst du doch sonst immer so gerne.«
    Sonst immer, aber heute ist nicht sonst immer, heute ist heute und da möchte sie einfach nur in Ruhe gelassen werden.
    »Oder wenigstens einen Salat!«, ruft die Mutter aus der Küche.
    »Danke, hab keinen Hunger.«
    »Du wirst doch nicht krank, Kind?«
    Marie schüttelt genervt den Kopf. In dieser Familie denken alle immer gleich an Krankheit, wenn man nicht fröhlich herumhüpft und sich den Bauch vollstopft.
    Sie geht in ihr Zimmer und schließt die Tür. Sie hört, wie die Freunde ihrer Eltern kommen, fröhliches Lachen erschallt durch das ganze Haus und wandert nach draußen, wo auf der großen Terrasse eine der häufigen Gartenpartys ihrer Eltern stattfindet.
    Marie schaltet das Licht aus, legt sich auf ihr Bett und starrt die Decke an.
    Dann steht sie plötzlich auf und geht durch den dunklen Flur in das Nachbarzimmer. Es ist gleich groß wie ihres, doch sonst ist alles anders. Es gab eine Zeit, da waren ihre Zimmer auch gleich eingerichtet. Möbel, Spielzeug, selbst die Kleidung, die sie trugen, alles gleich, wie bei Zwillingen üblich.
    Aus einem Regal holt sie Annes Fotoalbum und schaut sich wie so oft an den letzten Abenden die Bilder an, Bilder aus einer Zeit, in der sie eine Einheit waren: Anne und Marie. Sie sehen sich so ähnlich, dass man sie erst unterscheiden kann, wenn man sie länger kennt.
    Marie seufzt. Wie oft haben sie damals die Leute an der Nase herumgeführt und sich hinterher über deren dumme Gesichter amüsiert. Aber das war gemeinsam ausgedachter Spaß. Sie standen immer beide dahinter und waren auch bereit, mögliche Folgen ihrer Verwechslungsscherze, über die nicht alle Menschen lachen konnten, zu tragen. Nie hat eineder Zwillinge das gemacht ohne Wissen der anderen. Nie hat eine die andere für ihre Zwecke benutzt.
    Bis jetzt.
    Das Bild von der Einschulung: Nur die Schultüten waren verschieden. Anne hatte eine rote mit einem Haflinger, Marie eine blaue mit einem Schimmel. Die Vorliebe für unterschiedliche Pferderassen war einer der wenigen Unterschiede zu jener Zeit. Ihre ersten Reitstunden auf Balou, dem kleinen Shetlandpony auf dem Reiterhof von Bauer Klewes, die ersten Rügenurlaube. Anne und Marie als Dancing Queens bei der Schulabschlussfeier.
    Je länger Marie das Bild betrachtet, desto weniger kann sie es ertragen. Es erinnert sie zu sehr an das letzte Wochenende. Sie löst es vorsichtig aus dem Album und steckt es ein.
    Durch das offene Fenster hört sie die fröhlichen Stimmen der Gäste. Dazwischen die Stimme der Mutter: »Wir sollten Marie fragen, ob sie nicht runterkommt. Es ist keine leichte Situation für sie. Anne geht wieder mal ihre eigenen Wege und sie bleibt alleine zurück.«
    Die Schritte der Mutter auf der Treppe. Sie hört, wie sie an die Tür von ihrem Zimmer klopft. Dann ihre Stimme: »Marie? Willst du nicht doch zu uns kommen?«
    Jetzt wird sie hineinschauen. Die Tür ist nicht verschlossen. Von unter ruft der Vater. »Was ist nun, kommt sie? Sag ihr, ich lege gerade ihre Lieblingswürstchen auf den Grill.«
    »Sie ist gar nicht hier. Vielleicht ist sie ja doch mit Anne gegangen. Hoffentlich ist sie das. Sie hat so gar keinen Kontakt hier auf der Insel.«
    »Wir müssen mit Anne reden. Die kann sich zur Abwechslung auch mal um ihre Schwester kümmern.«
    Marie verkriecht sich ganz tief in Annes Bett. Sie mag kein Mitleid. Sie braucht es nicht. Arme Marie, wir sollten uns um sie kümmern.
    Sobald die Mutter gegangen ist, schleicht sie sich leise aus dem Haus. Svantevit wartet schon auf sie.
    Er schnaubt leise, als sie in die Pferdebox kommt. Er freut sich, dass sie da ist. Sie streichelt seine Nüstern, legt ihr Gesicht an seinen Nacken, hört seinen Herzschlag. Dann führt sie ihn nach draußen. Sie reitet den vertrauten Weg zum Strand, legt sich auf den warmen Sand, die Hände unter dem Kopf verschränkt und betrachtet die Sterne. Dort oben die Venus und da der Große Wagen. Die Wellen plätschern leise. Die Zeit bleibt stehen wie vor zwei Wochen, als sie mit Lirim hier lag.
    Es hätte so schön werden können. Hätte, hätte, wenn nicht Anne dazwischengegangen wäre. Und alles nur wegen ihrer idiotischen Rache! Kai, den sie damit eigentlich treffen wollte, weiß nichts davon und wird es auch nie erfahren, denn dann müsste Anne ja zugeben, wie sehr er sie verletzt hat.
    Die Einzigen, die sich schlecht und ausgenutzt fühlen,

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