Second Face
sind Lirim und sie, die nun wirklich mit der ganzen Sache nichts zu tun haben.
Anne sagt, sie fühlt sich jetzt gut. In diesem Moment hasst Marie ihre Schwester.
14
Am nächsten Tag besucht Tom Marie wieder in der Pause auf ihrer Bank. »Na, was ist? Hast du darüber nachgedacht? Interesse an einem neuen Leben mit jeder Menge Spaß und Freunden, auf die man sich verlassen kann? Oder willst du immer alleine rumhängen? Du kannst natürlich auch mit der Drama-Queen und ihren Freunden losziehen.«
Marie verzieht das Gesicht. Alles, nur das nicht. Annes Freundinnen, die zurzeit nur ein Thema haben – wie cool Anne Lirim abgehängt hat –, kann sie nicht ertragen.
So wirklich überzeugt ist Marie aber noch nicht, dass Toms Vorschlag die Lösung für ihr Problem ist. Erst als Anne am Nachmittag wieder fröhlich zum Surfstrand abzieht, um einen schönen Nachmittag zu verbringen, während ihr weitere Stunden mit traurigem Grübeln bevorstehen, greift sie zum Handy.
»Ich bin’s, Marie. Kann ich vorbeikommen? Wegen des Second Life … Ich meine, hast du Zeit heute?«
Tom freut sich ganz offensichtlich über ihren Anruf. »Klar doch. Ich muss noch für die Bioklausur lernen, aber in einer Stunde bin ich durch damit. Mit dem Fahrrad brauchst du eine halbe Stunde. Und bring deinen Laptop mit. Dann richte ich dir alles gleich ein.«
Tom wohnt mit seiner Mutter und seiner Tante in einem alten reetgedeckten Haus direkt am Meer. Im Sommer vermieten sie Zimmer an Touristen, die Ruhe suchen, hier in der hintersten Ecke der Insel.
Als sie die Gartenpforte öffnet, watschelt ihr eine Ente mit ihren sechs Jungen entgegen. Auf der Gartenbank vor dem Haus döst eine weiße Katze in der Sonne.
Marie kommen Zweifel, ob das der richtige Ort für den Beginn eines zweiten Lebens ist. Bevor sie es sich aber anders überlegen kann, öffnet Tom die Tür und grinst sie fröhlich an: »Bereit für das große Abenteuer?«
Marie nickt etwas zögerlich.
Er nimmt ihr den Laptop ab und führt sie in sein Zimmer. Dort stellt er ihren Laptop neben seinen Computer, öffnet ihn und schaltet ein.
«Passwort?« Tom schaut sie fragend an.
Für einen Moment zögert Marie. Schließlich ist ein Passwort dazu da, die Daten auf dem Computer zu schützen, und mit dem Passwort kann man auch in ihre anderen Accounts hinein.
»Hallo, Mariie! Passwort?«
Als sie immer noch zögert, fängt er an zu lachen. »Hast du Angst, ich klau dir deine Daten? Nun mach kein Drama daraus! Du kannst es auch selber eingeben.«
Das hätte Marie auch am liebsten getan, möchte aber nicht zickig sein. Tom hasst Drama-Queens.
»Marieanne, in einem durch.«
Tom schaut sie ungläubig an. »Dein Passwort lautet Marieanne?« Er fängt an zu lachen. »Und das von der Drama-Queen bestimmt Annemarie?«
Als Marie ihn verlegen anschaut, muss er noch mehr lachen. »Na gut, wenn auch nicht sehr einfallsreich. So ein Passwort kann jeder knacken. Also gut: Marieanne … Und los geht es.«
Toms Finger fliegen so schnell über die Tasten, dass Marie bereits vom Zuschauen schwindelig wird.
»Welchen Namen möchtest du in deinem neuen Leben haben?«
»Kann ich nicht meinen behalten?«
Tom schüttelt den Kopf. »Rein theoretisch geht das schon.Aber die Leute, die das gemacht haben, haben es alle später bereut. Es könnte ja sein, dass du Dinge tust oder erlebst, die nicht alle wissen sollen in deinem realen Leben.«
»Wieso das denn? Ich …«
»Vertrau mir einfach. Glaub mir, ich kenn mich in dieser virtuellen Welt fast besser aus als im richtigen Leben … Also weiter. Jeder kann sich einen Vornamen frei aussuchen, den Nachnamen musst du aus einer Liste dazutun.«
Marie fällt kein Vorname ein.
»Was ist mit Arabella?«
Da Tom offensichtlich begeistert ist von dem Namen, mag Marie nicht Nein sagen, wie so oft in ihrem Leben. Zum Glück ist es ja nur ein Spielname.
»Arabella! Nicht schlecht«, sagt sie deshalb. »Von mir aus.«
»›Nicht schlecht‹ reicht nicht. Du kannst später alles ändern, dein Aussehen, deine Kleidung, einfach alles, aber der Name, den du einmal wählst, der bleibt. Also sollte er dir schon gefallen.«
Arabella. Bella heißt schön. Warum nicht?
Tom hat inzwischen die Webseite von Second Life aufgerufen.
Eine freundliche Frauenstimme begrüßt sie:
WILLKOMMEN IN DER VIRTUELLEN WELT VON SECOND LIFE. DIES IST EIN ORT, UM SICH MIT ANDEREN ZU TREFFEN, EIN ORT, UM ZU SHOPPEN, EIN ORT, UM SICH ZU VERLIEBEN.
Marie runzelt die Stirn. Verlieben
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