Second Face
Arabella verhindert hat? Weil Anne verhindern wollte, dass Marie sich wieder in Second Life einloggt?
Marie holt ihr Handy heraus und ruft Edith an.
»Wenn man verfolgen will, welche Dateien einer aufgerufen hat, wie geht das noch mal?«, fragt sie die Freundin. »Aber schnell. Ich bin hier bei Tom und der kommt gleich zurück.«
Zum Glück gehört Edith zu den Freundinnen, die schnell und ohne viel zu fragen reagieren können.
»Siehst du den blauen Kreis links unten mit den rot-blaugrün-gelben Vierecken? Gut. Anklicken. Dann in der rechten Spalte auf ›Dokumente‹. Dann öffnet sich ein Fenster und da steht ›zuletzt besucht‹ … hast du’s?«
Maries Finger fliegen über die Tasten. Sie überfliegt die Ordner. »Fotos« steht auf einem. Sie klickt ihn an und traut ihren Augen nicht. Da sind sie alle, die Nacktbilder von Anne und noch mehr, die nicht gefakt wurden. Tom hat offenbar, als er neulich Maries Laptop hatte, um ihr zu helfen, unbemerkt ihre kompletten Fotodateien des letzten halben Jahres kopiert.
»Marie! Bist du noch da? Marie, sag doch was!« Ediths aufgeregte Stimme tönt aus dem Handy.
»Der hat meine Fotos kopiert. Das glaub ich nicht, dieses Schwein!« Maries Stimme vibriert vor Zorn.
»Aufregen kannst du dich später. Los, löschen! Bevor der Kerl zurückkommt.«
Rechte Maustaste und »löschen«. Vorsichtshalber löscht sie alle Fotos aus dem Ordner.
»Vergiss den Papierkorb nicht, sonst kann er die Datei wiederherstellen«, meldet sich Ediths Stimme. »Obwohl er das natürlich auch dann noch kann, wenn er sich gut auskennt. So ein Mistkerl!«
Papierkorb anklicken. Papierkorb leeren. »Wollen Sie die Dateien unwiderruflich löschen?«
In diesem Moment stürmt Tom ins Zimmer. »Was machst du hier? Wer hat dir erlaubt, hier herumzuschnüffeln?«, fährt er sie an und reißt sie vom Stuhl hoch.
Marie kann gerade noch auf »ja« klicken und den Order »Fotos« löschen.
»Gibt es denn was zu schnüffeln? Hast du Geheimnisse?«, fragt sie dann und schaut ihn mit großen Augen an.
»Verschwinde! Und zwar schnell!«
Aber Marie denkt an Anne und ihre rot geweinten Augen und wird auf einmal ganz ruhig. Sie setzt sich aufs Sofa und schlägt die Beine übereinander.
»Hast du Bohnen in den Ohren? Hau ab! Ich kann auch anders!« Drohend steht Tom vor ihr.
»Das kann ich mir vorstellen! Du stehst auf Cybersex, bist ein Mobber und was sonst noch alles!«
»Jetzt reicht es!« Tom packt sie und schleift sie aus dem Zimmer.
Marie schreit, so laut sie kann: »Hilfe!«
Toms Mutter kommt der Küche gerannt. Von oben laufen zwei Pensionsgäste die Treppe herunter. Alle schauen erschrocken auf Marie und empört auf Tom, der immer noch Maries Arm hält.
»Sag mal!« Toms Mutter schnappt nach Luft. »Bist du verrückt geworden? Lass sofort das Mädchen los!«
Mit dem Geschirrtuch schlägt sie auf ihn ein. Dann entschuldigt sie sich bei ihren Gästen und schiebt Tom und Marie ins Wohnzimmer. »Ihr wartet hier, bis ich komme!« Sie wendet sich den verstörten Pensionsgästen zu.
Kaum hat die Mutter die Tür geschlossen, zerrt Tom Marie durch die Terrassentür nach draußen. »Los, raus hier!« Hinten im Garten hält er an. »Und jetzt verschwinde! Wenn duein Wort zu meiner Mutter sagst, dann gibt es morgen weitere Nacktfotos im Netz.«
Marie reibt sich den Arm und lächelt ihn an. »Das glaube ich nicht. Das neue Passwort knackst du nicht so leicht. Und du wirst dich ganz offiziell bei Anne entschuldigen: bei Facebook und morgen während der Pause in der Schule. Und du wirst klarstellen, dass du es warst und die Fotos gefakt sind.«
»Träum weiter. Warum sollte ich das wohl tun? Geh zurück in den Sandkasten und spiel mit deiner Schwester Schminkstube.«
»Im Second Life gibt es Regeln. Wer dagegen verstößt, wird ausgestoßen. Du hast mein Geburtsdatum gefälscht, allein das reicht schon aus. Ich zeige dich an. Und du fliegst für alle Zeiten aus Second Life raus.«
Tom lacht. »Wie willst du beweisen, dass ich das Datum gefälscht habe? Du hast dich von deinem Laptop eingeloggt. Das musst du erst mal beweisen, dass ich was damit zu tun habe.«
Toms Frechheit verschlägt Marie die Sprache.
Tom lacht und lacht. »Tja, da hat die kleine Maus sich verrechnet. Wollte sich mit dem großen Tom anlegen. Fahr zurück zu deiner Schwester und heul dich aus.«
Wütend und sehr frustriert fährt Marie zurück. Sie kann nichts, aber auch gar nichts machen. Tom hat sie auf der ganzen Linie
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