See der Schatten - Kriminalroman (German Edition)
Nach dem Abschluss am College hat sie einen Job unten in San Diego angenommen. Aber sie stammte ursprünglich aus Oregon und hat die Gegend hier wohl ziemlich vermisst und kam ein paar Tage zu uns zu Besuch. Dann wollte sie zum See und ein bisschen schwimmen. Ich hatte noch soviel zu Hause zu tun, deshalb bin ich nicht mitgekommen. Zuerst habe ich mir gar nichts dabei gedacht, dass Claire so lange weggeblieben ist. Ich dachte, sie hat es sich am Seeufer gemütlich gemacht und ist vielleicht in der Sonne eingeschlafen. Aber es wurde immer später, und irgendwann habe ich dann doch angefangen, mir Sorgen zu machen. Ich wollte gerade zum See runter und nach ihr schauen, als ich schon den Wagen des Sheriffs auf dem Parkplatz am Seeufer habe stehen sehen. Ich habe mir gleich gedacht, dass irgendetwas passiert sein muss, aber wer denkt denn daran, dass ein junger, gesunder Mensch einfach so ertrinkt?«
Sie schüttelte den Kopf und schien immer noch fassungslos zu sein. Dann wandte sie sich wieder an Tess: »Anscheinend war sie keine besonders gute Schwimmerin und hat sich selbst einfach überschätzt. Vielleicht hatte sie auch einen Krampf.« Sie machte ein trauriges Gesicht und schien gegen die Tränen anzukämpfen. Mit leiser Stimme sprach sie weiter: »Trotzdem fühle ich mich irgendwie schuldig. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie oft ich mir in der Zwischenzeit schon Vorwürfe gemacht habe, dass ich nicht früher nach ihr gesehen habe.«
»Doch das kann ich«, erwiderte Tess matt. »Glaub mir, das kann ich sogar sehr gut.«
Eine Weile schwiegen beide, dann fragte Tess: »Und was war mit Justin? War er nicht dabei?«
Shannon schüttelte den Kopf. »Er hatte an dem Tag jede Menge Kundentermine und war lange unterwegs. Als er wiederkam, war er natürlich genauso geschockt wie alle anderen. Vielleicht sogar noch mehr. Claire war schließlich hauptsächlich mit ihm befreundet, und sie war überhaupt nur seinetwegen nach Shadow Lake gekommen.«
»Ich habe den Bericht in der Gazette gelesen«, erklärte Tess. »Was mich ein bisschen irritiert hat, war die Ähnlichkeit von Claire mit Joanna. Ist das nicht merkwürdig, dass zwei junge Frauen am See umkommen, die sich noch dazu ziemlich ähnlich sehen?«
Shannon runzelte die Stirn. »Hm, sicher, sie waren beide blond. Aber sonst ist mir keine große Ähnlichkeit aufgefallen. Claire war auch ein ganz anderer Typ als Joanna. Dass beide am Shadow Lake gestorben sind, war doch nur Zufall. Außerdem war es ja bei Claire ein Unfall, während Joanna von deinem Cousin abgestochen worden ist. Erinnerst du dich? Shannons Ton war deutlich schärfer geworden und jetzt blitzte sie Tess aus zusammengekniffenen Augen an.
Diese hielt ihrem Blick stand, auch wenn sie entsetzt über die Aggressivität ihrer alten Freundin war. Anscheinend war bei diesem Thema nicht nur sie sehr dünnhäutig. »Wie könnte ich das wohl vergessen?«, gab sie kühl zurück.
»Entschuldige«, meinte Shannon nach einem kurzen Zögern und lächelte verlegen. »Das war nicht gerade sensibel von mir.«
Tess rieb sich mit beiden Händen über ihr Gesicht und bemühte sich ebenfalls um einen verbindlicheren Tonfall.
»Irgendwie scheint der Shadow Lake aber eine beinahe magische Anziehungskraft für den Tod zu besitzen. Es ist wirklich ein bisschen unheimlich. Ich habe gelesen, dass sich eine junge Frau genau an der Stelle das Leben genommen hat, an der Joanna getötet wurde.«
»Du meinst Susannah MacIntyre«, nickte Shannon. »Da hast du recht. Das ist schon ein wenig gruselig. Vor allem weiß niemand, warum sie überhaupt nach Shadow Lake gekommen ist. Anscheinend kannte sie hier niemanden näher.«
»Weißt du Genaueres über den Fall?«, erkundigte sich Tess interessiert.
Shannon zuckte die Achseln. »Nicht mehr als das, was in der Zeitung gestanden hat.« Sie wandte sich ab, um die Farbe vom Pinsel zu spülen. »Hast du eigentlich schon gehört, dass Donnie Blank zum vierten Mal Vater geworden ist?, fragte sie unvermittelt und begann zu lachen. »Wer hätte das gedacht? Der Casanova der Highschool hat jetzt eine Halbglatze und einen Bierbauch und spielt den treu sorgenden Familienvater.«
Obwohl Tess über den plötzlichen Themenwechsel erstaunt war, musste auch sie grinsen. Eine ganze Weile schwelgten die beiden in Erinnerungen an frühere Zeiten, bis Tess das Gespräch wieder in die andere Richtung drehte. Sie kamen auf ihre gemeinsamen Freundinnen Millie, Kate und Joanna zu sprechen. »Wir
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