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Seefeuer

Seefeuer

Titel: Seefeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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waren nur die verdammten
Medikamente schuld, versuchte er sich einzureden. Langsam beruhigte sich sein
Puls, auch seine Augen gewöhnten sich schnell an die plötzliche Helligkeit.
    Die ganze Geschichte hatte ihn doch stärker
mitgenommen, als er zugeben wollte. War das ein Wunder? Vier seiner engsten
Freunde unter mysteriösen Umständen ermordet, dazu ständig die Angst, selbst
der Nächste zu sein – da war seine Erleichterung über die Festnahme des Täters
doch wohl zu verstehen! Zumindest war die Festnahme die zweitbeste Lösung,
sozusagen. Noch besser wäre es gewesen, wenn der Täter ins Gras gebissen hätte.
So erwartete ihn am Ende ein langwieriger Prozess, der unendlich viel Staub aufwirbeln
würde. Nicht auszudenken, was da alles an die Öffentlichkeit gezerrt wurde –
auch wenn die unmittelbare Gefahr für Leib und Leben inzwischen gebannt schien,
seine berufliche Existenz stand weiterhin auf der Kippe. Und alles nur wegen
der paar Stunden mit diesen Gören, verflucht noch mal!
    Mit Gewalt verscheuchte Pohl diese Gedanken und löste
sich von der Tür. Er sah auf die Uhr: kurz nach zehn. Wollte er sich nicht
drücken – was ausgeschlossen war, denn wie stünde er dann vor seinen
Jagdkameraden da! –, dann musste er sich sputen. Hastig öffnete er den
schwarzen Lederkoffer und nahm sein Instrument heraus, ein doppelwindiges
Jagdhorn des mährischen Musikinstrumenteherstellers Lidl, mit Mundrohrstimmzug,
Wasserklappe und allem Pipapo. Liebevoll strich er über die lackierte
Messingoberfläche, befühlte die samtene Lederumwicklung, ehe er seine Noten
herausnahm und sich eine geeignete Position ganz vorne an der Balustrade
suchte, um sich endlich in Positur zu stellen.
    Gerade setzte er probeweise das Mundstück an die
Lippen, da quietschte hinter ihm kaum hörbar die Tür, die vom Turm auf die
Plattform führte. Nichts Böses ahnend blickte er sich um. Langsam, wie von
Geisterhand, schwang die schwere Tür auf, im Dämmerlicht des Turminnern
zeichnete sich undeutlich eine kräftige Männergestalt ab, kam Stufe um Stufe
höher und trat endlich ins volle Tageslicht.
    »Sie?«, stieß Pohl überrascht hervor.
    »Mit mir haben Sie wohl nicht gerechnet, was?« Der
Mann blieb wenige Schritte vor Pohl stehen, die Arme vor der Brust verschränkt,
auf der Stirn eine steile Falte.
    »Wie sollte ich?«, antwortete Pohl misstrauisch.
    »Dabei hätten Sie allen Grund dazu, Herr Dr. Pohl.«
Der Mann machte eine kurze Pause, um dann hinzuzusetzen: »Oder soll ich Sie
›Advocatus‹ nennen?«
    Aus der Traum! In Bruchteilen von Sekunden hatte Pohl
kapiert, dass der Mann nicht zufällig hier heraufgekommen war, dass die
Bedrohung noch immer real existierte, vermutlich realer als je zuvor. Dennoch –
oder gerade deshalb? – musste er sich über seine eigene Gelassenheit wundern.
Normalerweise neigte er, zumindest außerhalb seines beruflichen
Wirkungskreises, zu Kleinmut und Ängstlichkeit, auch wenn er dieses Manko durch
nassforsche Floskeln, die gelegentlich in blanken Zynismus abglitten, leidlich
zu kaschieren wusste.
    Äußerlich gelassen warf er einen Blick in die Tiefe,
hinunter in die Stadt, nahm Menschen wahr, die zu ihm heraufstarrten, erkannte
einen Übertragungswagen des SWR und weiter hinten
zwei wegfahrende grün-weiße Polizeifahrzeuge, alles relativ nah und doch
unerreichbar fern.
    Betont lässig lehnte er sich an die Balustrade,
umfasste sein Jagdhorn fester und fixierte mit gespanntem Interesse sein
Gegenüber. »›Advocatus‹ – muss mir das etwas sagen?«, fragte er leichthin.
    »Ich bitte Sie, Herr Anwalt. Sie wissen wohl am
besten, was der Name bedeutet. Lassen Sie uns aufhören, Verstecken zu spielen.«
    Pohl ließ einige Sekunden verstreichen, ohne dem Blick
des Mannes auszuweichen. Ein fürchterlicher Verdacht war in ihm aufgestiegen.
Er nahm all seinen Mut zusammen: »Die Bullen haben den Falschen geschnappt,
stimmt’s?«
    »Sagen wir so: Ich hab ihnen einen anderen zum Fraß
vorgeworfen, und sie sind prompt drauf reingefallen«, erwiderte der Mann. Dabei
ließ er die Arme fallen und machte einen Schritt auf Pohl zu. Der hatte sich
inzwischen aufgerichtet, mit beiden Händen umklammerte er sein Instrument.
    »Sie werden wohl kaum so bescheuert sein, sich
ausgerechnet hier an mir zu vergreifen, gewissermaßen unter den Augen der
Polizei!« Pohls Stimme klang leicht gepresst. Mit den Augen verfolgte er den
ihn umkreisenden Mann.
    »Irrtum! Die Bullen wissen nichts von unserem
Rendezvous.

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