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Seefeuer

Seefeuer

Titel: Seefeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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Würde mich nicht wundern, wenn sie längst weg wären.«
    »Und der Beamte am Turmeingang? Wollen Sie behaupten,
Sie hätten den ungesehen passieren können?«, fragte Pohl eine Spur zu schnell.
    Der Mann drehte seelenruhig seine Kreise um Pohl. »Wer
sagt, dass ich von unten komme? Haben Sie die Tür nicht bemerkt, die in halber
Höhe in den Dachstuhl des Chores abgeht?«
    »Die ist ständig verschlossen, hat man mir
versichert.«
    Der Mann verbiss sich ein Lachen. »So kann man sich
irren! Ich genieße einige Vorrechte, wie Sie sich denken können. An den
Schlüssel zu kommen, um ein Duplikat fertigen zu lassen, war überhaupt kein
Problem. Also hab ich mich in aller Ruhe hinter der Tür versteckt und auf Ihr
Erscheinen gewartet.« Er kicherte. »Auf das Erscheinen des richtigen Pohl,
wohlgemerkt!«
    Nur langsam erholte sich Pohl von dieser Überraschung.
Seine Finger krallten sich noch fester um das Jagdhorn. »Und auf demselben Weg
gedenken Sie sich anschließend wieder in Luft aufzulösen, nehme ich an.«
    »Ganz genau. Jetzt aber genug geredet. Sie sind
bereits überfällig.« Der Mann grinste boshaft. »Die Leute dort unten erwarten
schließlich etwas von Ihnen, Herr Anwalt! Heute erwarten sie sogar etwas ganz
Besonderes …«, seine Stimme war zunehmend schriller geworden, während er näher
und näher zu Pohl aufrückte, »… die werden Sie doch nicht enttäuschen
wollen?« Eine Sekunde Pause, bevor er höhnisch hervorstieß: »Zeig ihnen, dass
du mehr kannst als kleine Mädchen pimpern, du Lustgreis!«
    Jetzt ging alles Schlag auf Schlag. Schneller, als
Pohl reagieren konnte, war der Mann bei ihm, presste ihn mit seinem
Körpergewicht an die Balustrade, umfasste die Aufschläge der grünen Lodenjacke
und riss ihn daran hoch, als wäre er eine Feder. Pohl spürte die feuchte Stirn
des Gegners auf der seinen, fühlte den heißen Atem in seinem Gesicht, starrte
ihm in die Augen wie weiland das berühmte Kaninchen vor der Schlange – und
überlegte fieberhaft, wie er sich aus der Umklammerung dieses Wahnsinnigen befreien
könnte.
    »Du wirst jetzt fliegen, du geiler Zwerg … fliegen,
fliegen, fliegen … Und vergiss nicht, bei der Landung schöne Grüße zu
bestellen, an Weselowski und all die anderen Kinderschänder.«
    Schon fühlte Pohl sich emporgehoben, im Bewusstsein,
dass er in wenigen Augenblicken hinterrücks über die Balustrade gedrückt werden
und in die Tiefe fallen würde. Seine Gedanken rasten durcheinander – bis er
sich auf den einzigen Ausweg besann, der ihm blieb. Ruckartig zog er den Kopf
nach hinten, um ihn gleich darauf mit aller Kraft nach vorne zu stoßen, mitten
hinein in die Visage dieses Irren, dessen einziger Lebenszweck nur noch darin
zu bestehen schien, ihn und die anderen Mitglieder der Clique zu liquidieren.
Es knirschte scheußlich, etwas brach entzwei, und rote Schleier waberten vor
Pohls Augen. Er fürchtete schon, in seinem Schädel sei eine Ader geplatzt, da
begriff er, dass es von dem Mann kam, der plötzlich wie ein abgestochenes
Schwein blutete.
    Er musste ihm das Nasenbein gebrochen haben!
    Augenblicklich ließ die Umklammerung nach, instinktiv
tauchte Pohl nach unten weg und glitt seitlich an der Balustrade entlang,
wollte mit einigen schnellen Schritten den Ausgang erreichen. Doch seine
wiedergewonnene Freiheit war nur von kurzer Dauer. Mit einem unartikulierten
Schrei stürzte sich der Mann erneut auf ihn, nachdem er zuvor vergeblich
versucht hatte, das aus seiner aufgeplatzten Nase laufende Blut mit dem
Unterarm zum Stillstand zu bringen. Ganz offensichtlich war auch sein rechtes
Auge von Pohls Kopfstoß betroffen; es begann bereits, in allen Farben zu
schillern, die Braue war sichtbar angeschwollen.
    Pohl spürte, wie der Angreifer beide Hände um seinen
Hals legte und zudrückte, ihn dabei wie eine leblose Puppe hin und her
schüttelnd. Es dauerte auch nicht lange, und Pohl begann zu röcheln, die Augen
traten ihm aus den Höhlen. In höchster Angst hob er das Jagdhorn hoch und
drosch damit auf den Kopf seines Gegners ein, was diesen jedoch wenig
beeindruckte – bis er unvermittelt die gebrochene Nase des Mannes traf. Ein
Aufschrei, und plötzlich bekam Pohl wieder Luft, konnte sich frei bewegen. In
panischer Angst stob er in Richtung Ausgang, hatte schon beinahe die Tür
erreicht, als er sich wie von einem Kran hochgezogen fühlte. Aufs Neue wurde er
herumgewirbelt und an die Balustrade gedrückt. Gleich darauf packte der Mann
ihn unter den Armen, Pohls

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