Seefeuer
den Hörer ab und
meldete sich. Kalfass nahm die Gelegenheit wahr, sich zu verdrücken.
»Karin Winter hier. Ich grüße Sie, Herr Hauptkommissar.«
»Frau Winter, was verschafft mir die Ehre?«
»Ihre Presseabteilung hat uns ein niedliches
Kuckucksei ins Nest gelegt …«
»Lassen Sie mich raten: Es geht um die Tote von heute
früh, stimmt’s?«
»Woran ist sie denn gestorben?«
»Kein Kommentar.«
»Herr Wolf, wie soll ich für Sie ermitteln, wenn Sie
mir die wichtigsten Fakten vorenthalten?« Ihre gespielte Entrüstung wich einem
verhaltenen Kichern.
Wolf konnte dem kaum etwas entgegensetzen. Bei seinem
letzten großen Fall hatten ihre Recherchen maßgeblich dazu beigetragen, eine im
wahrsten Sinne des Wortes mörderische Giftmüllmafia hinter Schloss und Riegel
zu bringen. Wolf schätzte ihre zielgerichtete Art, sich in schwierige Fälle zu
verbeißen, auch wenn sie, Gott sei’s geklagt, nicht selten Methoden anwandte,
die ihm als Polizeibeamten auf ewig verwehrt blieben. Außerdem, das stritt er
gar nicht ab, war ihm die Journalistin auch privat nicht unsympathisch. Jo
hatte sie mal als Pretty-Woman-Typ bezeichnet: hochgewachsen, schlank, brünett,
mit leicht herben Gesichtszügen und einem etwas zu großen Mund. Dieses
Missverhältnis machte sie nur umso anziehender und verfehlte auch bei Wolf
seine Wirkung nicht.
»Niemand weiß Ihre Mitarbeit mehr zu schätzen als ich,
Frau Winter – pardon, fast hätte ich Frau Kollegin zu Ihnen gesagt. Warten Sie
halt noch ein bisschen ab. Sie sind, wie meist, zu ungeduldig.«
»Sie wissen doch, der frühe Vogel fängt den Wurm.
Verraten Sie mir wenigstens eins: Woran ist die Kleine gestorben? So mir
nichts, dir nichts wird sie ja wohl kaum entschlafen sein, sonst läge sie jetzt
nicht auf meinem Tisch – bildlich gesprochen.«
»Wie gesagt, kein Kommentar.«
»Mein Gott, sind Sie heute zugeknöpft. Ich will ja
nicht die genaue Diagnose des Notarztes hören, mir reicht schon eine
klitzekleine Andeutung …«
»Nein!«
»Aber ein Notarzt war da, ja? Und dass die Kleine
gerade mal fünfzehn war und in der Nähe des Spetzgarter Hafens gefunden wurde:
Können Sie mir wenigstens das bestätigen?«
»Kann ich.«
»Ich muss schon sagen, so mundfaul habe ich Sie selten
erlebt, Herr Wolf. War das Kind denn wenigstens hübsch?«
»Was soll diese Frage?«
»Sie werden schon noch darauf kommen. Also?«
»Ja, sie war hübsch. Und gut entwickelt. Darauf wollen
Sie doch hinaus, oder?«
Sie kicherte. »Ich sehe, Sie kennen mich in- und
auswendig, Herr Wolf. Danke. Wir sprechen uns noch.« Damit kappte sie die
Verbindung.
Wolf biss sich auf die Lippen. Blitzartig war ihm klar
geworden, was die Frage nach dem Notarzt sollte. Karin Winter würde in eben
diesem Augenblick seine Information zu Gold machen, das war so sicher wie das
Amen in der Kirche.
2
Die Verkäuferin packte
die gewünschten vier Brötchen in eine Tüte und verlangte zwei Euro. Der Blonde
zahlte mit einem Fünfeuroschein. Im Hinausgehen steckte er das Wechselgeld ein
und ließ mit einem saloppen »Tschau« die Ladentür hinter sich zufallen. Ein
Samstagmorgen ohne frische Brötchen, das war schlichtweg unvorstellbar,
gewissermaßen ein Sakrileg. Gut gelaunt lief er die Straße hinunter – als sich
plötzlich von hinten eine Hand auf seine Schulter legte.
Ungehalten drehte er sich um.
»Sie?«, rief er überrascht, als er den älteren Mann erkannte. »Wenn es Ihnen
darum ging, mir einen Schrecken einzujagen, ist es Ihnen gelungen. Was wollen
Sie?«
»Was werd ich wollen? Sie fragen,
ob Sie das hier schon gelesen haben.« Der Mann sprach ein breites, kehliges
Schwyzerdütsch. Aufgebracht hielt er dem Blonden eine zusammengefaltete Zeitung
unter die Nase.
»Was ist das?«
»Die St. Galler Zeitung. Die
Ausgabe von heute Morgen. Unser ›Seekurier‹, wenn Sie so wollen.«
»Tut mir leid, ich vertrag diese
Blätter auf nüchternen Magen nicht. Sagen Sie, könnten wir nicht ein anderes
Mal …«
»Nein! Ich muss jetzt wissen, ob
stimmt, was hier drinsteht.« Nervös schaute der Mann sich um.
Da riss ihm der Blonde die Zeitung
aus der Hand und überflog den kurzen Artikel. Erleichtert atmete er auf.
»Was wollen Sie hören?«, sagte er
mit einem gelangweilten Unterton. »Hier steht lediglich, dass eine tote
Taucherin gefunden wurde. Warum also der ganze Wirbel? Okay, die Kleine war
eine von uns. Selbst schuld, kann ich da nur sagen. Hätte eben rechtzeitig die
Finger davon lassen sollen. Wir
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