Seefeuer
klingelte das Telefon, und Wolf schluckte
seinen Ärger fürs Erste hinunter.
»Und, was sagen Sie zu dem Artikel?«, fragte Jo.
»Erspar mir eine Antwort. Gerade hab ich mich halbwegs
beruhigt.«
»Ich hab heute nichts vor, Chef. Nehmen Sie mich mit
zum Bodensee-Internat?«
»Von mir aus«, antwortete Wolf nach kurzem Nachdenken.
»Hol mich um halb neun ab.«
***
Es
dauerte eine Weile, bis Weselowski realisierte, dass das grässliche Geräusch
nicht von dem einladend lächelnden Pagen verursacht wurde, der ihm in seinem
Traum die Tür zum Hinterzimmer öffnete, und auch nicht von den vier
bildschönen, leicht bekleideten Mädchen, die dort auf ihn warteten. Das
Geräusch kam vom Telefon auf seinem Nachttisch. Unwillig nahm er ab. Als er die
erregte Stimme am anderen Ende der Leitung erkannte, sprang er eilig aus dem
Bett. Während er in einen Morgenmantel schlüpfte, bedeutete er seiner Frau, sie
solle weiterschlafen, und eilte aus dem gemeinsamen Schlafzimmer. Pohls Anruf
um diese Zeit konnte nichts Gutes bedeuten, da war es besser, wenn seine Frau
nicht mitbekam, worüber sie sprachen.
»Bist du von allen guten Geistern verlassen, mich um
diese Zeit anzurufen? Was gibt’s denn so Wichtiges?« Irgendwie brachte
Weselowski das Kunststück fertig, gleichzeitig gedämpft und doch mit einer
gewissen Schärfe zu sprechen.
»Wirf einfach mal einen Blick in den ›Seekurier‹, dann
weißt du, warum ich anrufe.«
»Was soll das heißen?«
»Dass jetzt die ganze Stadt weiß, was vorgefallen ist – das heißt es!«
»Ich hab den ›Seekurier‹ nicht zur Hand. Lies vor.«
Pohl tat, wie ihm geheißen.
»Nun mach dich nicht verrückt«, versuchte Weselowski
den Freund zu beschwichtigen. »Außer Gerüchten steht in dem Artikel nichts, was
uns beunruhigen müsste.« Seine Stimme bekam einen nachdenklichen Unterton.
»Immerhin, der Hinweis auf Drogen erklärt, warum die Kleine auf einmal so
leblos dalag. Und es beweist, dass mich keine Schuld trifft. Beruhige dich,
Hartmut! Trotz dieses Vorfalls sind wir auf der sicheren Seite.«
»Dein Wort in Gottes Gehörgang«, stöhnte Pohl und
unterbrach die Verbindung.
***
»Nobel
geht die Welt zugrunde«, murmelte Wolf, als sie das zweiflügelige
schmiedeeiserne Tor passierten und die von Buchsbäumen gesäumte Kiesauffahrt
entlangfuhren.
Seit über vierzig Jahren war das Schloss auf dem
Überlinger Burgberg Sitz des renommierten Bodensee-Internats, jener
Eliteschule, in der nach landläufiger Meinung die Kinder der Besser- und
Hochgestellten aus Deutschland und drum herum eine »ganzheitliche Erziehung und
Bildung« erfuhren. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, musste Wolf sich
allerdings eingestehen, dass durchaus nicht nur Kinder des Geld- und sonstigen
Adels hier ihr zweites Lebensjahrzehnt verbrachten, sondern mit ihnen viele
Stipendiaten, die aus unterschiedlichen, in der Regel finanziell weniger gut
gestellten Schichten stammten und so für einen gesunden Mix in den Klassen
sorgten.
Wolf, dessen schulische Erfahrungen erheblich länger
zurücklagen, als das Internat alt war, befand sich zum ersten Mal hier oben.
Während Jo ihren Beetle auf dem Gästeparkplatz abstellte, warf er neugierige
Blicke auf die erstaunlich gut erhaltene, teilweise mit Efeu überwachsene
Schlossfassade. Sie betraten das Gebäude durch das breite Eingangsportal, das
rechts und links von je einem Sandsteinlöwen flankiert wurde, und gelangten in eine
großräumige, lichtdurchflutete Halle, von der zwei lange Flure abgingen. Eine
breite, ziemlich ausgetretene Steintreppe führte in die oberen Etagen. Das
altehrwürdige Interieur strahlte gediegene, wenn auch reichlich verblichene
Eleganz aus. Dunkle Holzvertäfelungen dominierten die Wände, cremefarbene
Granitplatten den Boden. Für einen Samstag wimmelte es nach Wolfs Auffassung
geradezu von Menschen. Offensichtlich war nicht nur ein Teil der Verwaltung
zugegen, auch Schüler, viele davon in diskutierenden Gruppen, drängten sich in
den Fluren. Jo deutete auf die Orientierungstafel gleich links am Eingang.
»Hier: Schulleitung, Zimmer 8«, las Wolf laut ab und
setzte sich in Bewegung.
»Sind wir eigentlich angemeldet, Chef?«, wollte Jo
wissen.
»Klar. Wir werden es mit einem gewissen Herrn von
Carlfeld zu tun haben. Er vertritt den Schulleiter, der sich für einige Tage im
Ausland aufhält. Ich hoffe, dass von Carlfeld uns möglichst rasch an den
Klassenlehrer von Tamara Reich weiterreicht, diesen Gregor Hajek. Wenn
überhaupt,
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