Seefeuer
Dann musste Weselowski doch etwas über Tammys Tod wissen …
oder hatte er am Ende sogar damit zu tun?
Die Erregung im Raum war mit Händen zu greifen. Am
liebsten wäre Philip zu Bille gerannt, hätte sie an den Schultern gepackt und
die Wahrheit, die ganze Wahrheit aus ihr herausgeschüttelt, notfalls mit
Gewalt. Doch er wusste nur zu gut: Mit Gewalt war bei ihr jetzt nichts
auszurichten, im Gegenteil. Bille musste ab sofort mit Samthandschuhen
angefasst werden, wollten sie weitere Details aus ihr herauskitzeln. Schon
jetzt stand fest, dass sie mehr wusste, als sie annehmen durften, das hatte sie
soeben zugegeben.
Neidlos musste Philip anerkennen, dass Doc das Zeug zu
einem erfolgreichen Psychotherapeuten hatte. Unaufgeregt und einfühlsam stellte
er dem Mädchen seine Fragen.
»Du sagst also, sie hat sich mit Weselowski getroffen.
Kennst du den Grund? Vielleicht hat sie ihn ja als Arzt konsultiert?«
»Nein, nicht als Arzt …« Heftiger als zuvor schluchzte
sie in ihr Taschentuch.
»Waren sie vielleicht zusammen tauchen?«
Ihr Gesicht spiegelte völliges Unverständnis.
»Tauchen? Wieso sollten die zusammen tauchen?«
»Aber sie war doch sicher nicht allein an diesem
Abend, oder?«
Sie schien die Frage nicht zu verstehen. »Wie meinst
du das? Wir waren da nie allein …«
»Wie … du warst selbst dabei? Aber wo denn, um Himmels
willen?« Zum ersten Mal fiel Doc etwas aus seiner Therapeutenrolle.
»Na, auf diesem Schiff.«
Doc blickte seine Freunde fragend an. Dann wandte er
sich wieder Bille zu. »Was für ein Schiff meinst du? Wie hieß es?«
»Weiß ich nicht … wir waren immer nur nachts dort, da
hab ich nicht auf den Namen geachtet … so ein großes Schiff eben, mit Kabinen
und einer Bar.«
»Wie groß? Wie ein Segelboot?«
»Größer.«
»Wie viele Personen waren an Bord?«
»Keine Ahnung. Vielleicht zwanzig.«
»Und was habt ihr dort gemacht?«
»Wir … wir haben … nein, es geht nicht, ich kann nicht
darüber sprechen …«
»Schon gut, Bille. Wir wollen dich nicht unter Druck
setzen. Hast du mit der Polizei darüber gesprochen?«
»Spinnst du? Mit denen am allerwenigsten!« Wieder
hielt sie ihr Taschentuch vor die Augen. »Da würde ich mich viel zu sehr
schämen«, ergänzte sie kaum hörbar.
»War Olaf mit auf dem Schiff?«
»Olaf? Was sollten wir denn mit dem?«, meinte Bille
abfällig und begann erneut zu schluchzen.
Doc ließ ihr Zeit, sich wieder zu beruhigen, ehe er
die Befragung fortsetzte. »In der Zeitung steht, dass Tammy etwas genommen
hatte, vermutlich eine Droge, dazu Alkohol … Hat Weselowski ihr das Zeugs
gegeben?«
»Nein.«
»Aber er kennt sich darin aus. Ist er nicht von Haus
aus Anästhesist?«
»Nein, Chirurg, glaube ich.«
Doc überlegte einen Augenblick, ehe er die nächste
Frage stellte. »Wenn ihr zusammen auf dem Schiff wart, warum seid ihr dann
nicht auch zusammen gegangen?«
Nun war es mit Billes Beherrschung endgültig vorbei.
Laut heulend erhob sie sich von der Matte und stürmte aus der Halle.
***
Karin
Winter legte den Hörer zurück. Eins zu null für Wolf – dieses Mal war er ihr
zuvorgekommen. Soeben war ihr vom stellvertretenden Direktor des
Bodensee-Internats bestätigt worden, dass von der Kripo Überlingen bezüglich
des geheimnisvollen Tauchunfalls einer seiner Schülerinnen bereits Ermittlungen
aufgenommen und der zuständige Lehrer sowie der Bruder der Toten vernommen
wurden.
Sie hatte den Interimsschulleiter ebenfalls um ein
kurzes Gespräch gebeten und, wenn auch mit einiger Mühe, einen Termin noch für
heute Nachmittag erhalten – genau genommen in einer halben Stunde.
Sie steckte ihren Block in die Umhängetasche und war
eben im Begriff zu gehen, als ihr Telefon klingelte. Lass es klingeln, dachte
sie im ersten Moment. Doch die Neugier siegte. Sie hob den Hörer ab und meldete
sich. Zu ihrer Überraschung nannte der Anrufer keinen Namen, er hielt sich auch
nicht mit langen Vorreden auf. Dafür stieß er einen Schwall undeutlich
artikulierter Worte hervor, deren Sinn sie anfangs kaum verstand. Ehe sie
sich’s versah, war die Leitung wieder tot.
Karin war, was selten vorkam, einigermaßen perplex.
Der Anrufer hatte ihr nicht die geringste Chance zu einer Rückfrage gelassen.
Wenn sie seinen Wortschwall richtig verstanden hatte, sollte sich der Bruder
der Toten in Tamaras Zimmer einen Kalender mit wichtigen Telefonnummern und
sonstigen Angaben unter den Nagel gerissen haben. Nach seiner Darstellung trug
dieses Ding
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