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Seefeuer

Seefeuer

Titel: Seefeuer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Megerle
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sich auf eine längere Wartezeit
gefasst. Am erfolgversprechendsten schien ihr, den Klinikchef bereits beim
Verlassen seines Wagens anzusprechen. Das Überraschungsmoment würde ihr
vielleicht helfen, ihm ein Statement zu entlocken.
    Sie blickte in die Richtung, aus der Weselowski kommen
musste. Keines der ankommenden Fahrzeuge passte nach ihrer Einschätzung zu
einem Klinikchef, dem irgendwer mal das Etikett »renommiersüchtig« angehängt
hatte. Weiter vorne parkte noch immer der Audi, der ihr bereits bei der
Herfahrt aufgefallen war – wegen eines unbedeutenden Details, wenn sie es recht
bedachte. Der Fahrer – oder war es eine Fahrerin? – hatte Handschuhe getragen.
Ziemlich ungewöhnlich um diese Jahreszeit, wo die Morgenstunden zwar kühl, aber
noch lange nicht frostig waren. Na ja, des Herrgotts Tiergarten war eben
unerschöpflich!
    Einige Minuten später horchte sie auf. Das Dröhnen
eines hochtourigen Triebwerks erfüllte die Luft, schwoll mehr und mehr an, bis
ein silbergrauer Flitzer heranpreschte und mit sportlich-elegantem Schwung auf
den Parkplatz einschwenkte – just in jene Nische, deren Schild den Namen des
Klinikchefs trug.
    Bingo! Sie hatte ihn richtig eingeschätzt: Porsche 4 S
Turbo, die teuerste unter den gewiss nicht armseligen Stuttgarter Edelkarossen!
Das Kennzeichen zeigte eine Konstanzer Nummer mit den Buchstaben » HW« , Weselowskis Initialen. Gerade noch rechtzeitig
brachte er das Gefährt zum Stehen und stieg aus.
    Weselowski trug einen sportlich-legeren grauen Anzug,
offenbar Rohseide, darunter einen schwarzen Rolli. Beides zusammen verlieh
seiner Erscheinung trotz seines Alters – Karin wusste, dass er die sechzig
bereits überschritten hatte – einen jugendlichen Touch. Noch während er den
Wagen abschloss, war Karin bei ihm.
    »Dr. Weselowski, wenn ich mich nicht irre.« Es war
weniger eine Frage als eine Feststellung.
    Der Angesprochene drehte sich um und bedachte sie mit
einem spöttischen Blick. »Falls es um einen Behandlungstermin geht, junge Frau,
den bekommen Sie von meiner Sekretärin.«
    »Keineswegs. Es geht um Tamara Reich.«
    Weselowskis Augenbrauen zogen sich unmerklich
zusammen. »Wer soll das sein?«, fragte er ruhig.
    In diesem Augenblick wurde in der Nähe ein Wagen gestartet.
Gequält heulte der Motor auf, drehte hoch bis zum Limit, zerrte schmerzhaft an
Karins Nerven. Sie drehte sich um, um zu sehen, wer für dieses Hölleninferno
verantwortlich war. War der Kerl schon am frühen Morgen besoffen? Wie zur
Bestätigung ließ der Fahrer plötzlich die Kupplung schnellen. Mit
durchdrehenden Reifen schoss sein Wagen nach vorne, beschleunigte unvermindert,
bis er fast auf Höhe der Klinik war. Kurz vor Erreichen des Parkplatzes machte
er unvermittelt einen Schlenker nach rechts und schleuderte unkontrolliert auf
die beiden wie gelähmt Dastehenden zu. Nur noch wenige Meter trennten sie von
dem Wahnsinnigen. Reflexartig trat Karin Winter einen Schritt zurück. Sie
wollte schreien, doch kein Laut kam aus ihrer Kehle. Es gab einen dumpfen
Aufprall – dann war der Spuk auch schon vorüber. Der Wagen entfernte sich, das
Heulen des Motors wurde leiser und erstarb schließlich ganz.
    Verdammt, das war mehr als knapp! Noch nie hatte sie
sich dem Tod so nah gefühlt, nie zuvor hatte sie seinen kalten Hauch im Gesicht
gespürt. Eine Täuschung, wie sie inzwischen realisierte, denn in Wirklichkeit
war der kalte Hauch von den Luftwirbeln des dicht an ihr vorbeiziehenden Wagens
verursacht worden. Wahrscheinlich war auch der Druck auf ihre Beine nur eine
Täuschung. Als aber das Inferno schließlich verklang, ohne dass dieser Druck
nachließ, sah sie nach unten. Da wusste sie, dass sie sich abermals geirrt
hatte. Auf ihren Füßen lag Weselowski – gänzlich leblos. Sein männlich-herbes
Gesicht war totenbleich, kein Muskel regte sich. Seine Augen waren geöffnet,
doch sie wirkten merkwürdig stumpf.
    Laute Rufe und das Geräusch sich nähernder Schritte
ließen sie wieder zu sich kommen. Sie sah hoch. Mehrere Männer in weißen
Mänteln stürzten auf sie zu, beugten sich über Weselowski. Starr vor Entsetzen
waren andere auf halbem Wege stehen geblieben, darunter die Mitarbeiterin vom
Empfang.
    Jemand rüttelte an Karins Arm. »Was ist passiert? Sie
waren doch dabei? Haben Sie den Fahrer erkannt oder sich das Kennzeichen
gemerkt?«
    Karin schloss für einen Moment die Augen. Im Geiste
sah sie alles noch einmal vor sich: den anfahrenden Wagen, seine

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