Seefeuer
triftigen Grund. Der im Augenblick naheliegendste
war: Hajek wollte seine Rückkehr geheim halten. Aber warum? Könnte das für
seine Beteiligung im Fall Trost sprechen? Ausgeschlossen, konstatierte sie, da
ging wohl die Fantasie mit ihr durch.
Dummerweise war sich Karin nicht sicher, ob es sich
bei dem Mann überhaupt um Hajek handelte. Sie hatte den Lehrer zwar anlässlich
der Recherchen zu einem Bericht über das Bodensee-Internat flüchtig
kennengelernt und wegen seiner affig zur Schau getragenen Männlichkeit von
Herzen unsympathisch gefunden, hatte ihn aber etwas größer und athletischer in
Erinnerung. Die geduckt dem Hauseingang zustrebende Gestalt hingegen war eher
von durchschnittlicher Statur. Aber das ließ sich ganz leicht feststellen.
Karin stieg aus. Beim Zuschlagen der Wagentür
schnellte der Mann herum. Wie erstarrt blieb er stehen und sah ihr entgegen.
»Entschuldigen Sie …«, rief Karin und machte
Anstalten, die Straße zu überqueren.
Als hätte sie gedroht, ihm das Lebenslicht
auszublasen, stob der Mann plötzlich davon. Da ihm der Rückweg zur Straße
abgeschnitten war, lief er am Haus entlang. Schon nach wenigen Metern war er –
unter Zurücklassung seines Schirms – im nachtschwarzen Gebüsch verschwunden.
Was andere Frauen zur Vorsicht gemahnt hätte, war für
Karin Winter ein zusätzlicher Ansporn. Mit einem scharfen »So warten Sie doch!«
versuchte sie, das Geräusch brechender Zweige zu übertönen. Umsonst. Nun half
alles nichts: Wollte sie die Identität des Mannes lüften – sie war sich
inzwischen ziemlich sicher, dass es sich doch um Hajek handelte –, musste sie
hinter dem Flüchtenden her, wohl wissend, dass das mit Milliarden von
Wassertropfen behängte Gezweig sie binnen Kurzem bis auf die Haut durchnässen würde.
Zu allem Übel sank sie immer wieder bis zum Knöchel in das weiche Erdreich ein,
mehr als einmal konnte sie nur mit Mühe und einem eklig schmatzenden Geräusch
ihre Schuhe wieder herausziehen. Alle paar Meter blieb sie stehen, um auf die
Geräusche vor ihr zu lauschen.
Plötzlich herrschte Stille. War der Mann durch einen
Hintereingang im Haus verschwunden? Hatte er sich irgendwo auf die Lauer
gelegt? Das wäre allerdings höchst fatal, gerade hier, wo man nicht mal die
Hand vor den Augen sah und zu allem Unglück das Gelände immer abschüssiger
wurde. Klar, das Gebäude stand an einem Hang, der sich seewärts neigte.
So gut es ging, versuchte sie, sich leise weiter
vorzuarbeiten. Rechts konnte sie vage die Hauswand erkennen. In einiger
Entfernung glomm ein schwacher Lichtschein auf: das Nachbargebäude, hangabwärts
gelegen. Sie beschloss, an der Hauswand Entlangzuschleichen, um sich nicht
hoffnungslos im unbekannten Gelände zu verfransen.
Während sie sich an der Mauer Entlangtastetee, wurde
diese plötzlich durch eine Nische unterbrochen. Eine Tür? Tatsächlich stießen
ihre suchenden Hände bald auf einen Griff. War der Flüchtende durch diesen
Hintereingang verschwunden? Karin drückte sanft dagegen. Mit leichtem
Quietschen schwang eine Tür auf. Sehr gut! Dahinter musste ein Lichtschalter
sein.
Gerade wollte sie die Hand heben, da traf sie der
Schlag. Urplötzlich war aus dem Dunkel eine Faust geschnellt und hatte ihr
einen wuchtigen Hieb versetzt. Er landete auf ihrem linken Auge und schickte
sie für eine Sekunde auf die Bretter – besser gesagt: auf den Beton. Als sie
wieder hochkam, vernahm sie gerade noch das Geräusch sich schnell entfernender
Schritte.
8
Nach Philips Vernehmung hatten sich Wolf und
Marsberg für den folgenden Morgen zu einer Lagebesprechung verabredet, in
großer Besetzung, sollte heißen: mit Jo und Hanno Vögelein.
Der Regen hatte sich in der Nacht verzogen, der Himmel
wirkte wie blank geputzt. Glaubte man dem Wetterbericht, war die Herrlichkeit
jedoch nur von kurzer Dauer. Trotzdem, im Augenblick schienen die Vorzeichen
für einen heiteren Tag günstig, was Wolf nicht nur meteorologisch verstanden
wissen wollte.
Um halb acht waren Marsberg und Jo eingetroffen. Wolf
setzte sich zu den beiden an den Besprechungstisch. »Wo bleibt Hanno?«, fragte
er Jo.
»Hat sich telefonisch entschuldigt, musste zum Arzt.
Klang, als hätte sein letztes Stündlein geschlagen.«
Wolf verkniff sich eine Bemerkung. Dann begann er, Jo
über den Ausgang der gestrigen Ermittlungen zu unterrichten. Besonders
ausführlich schilderte er Philips Vernehmung. Mehrmals ergänzte Marsberg seine
Angaben, stimmte zu oder meldete Zweifel an
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