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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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Robbenmuskels, eine Schwanzflosse, die ich nicht mehr hatte. «Ich glaube, es geht darum … wie schön es ist, sich zu bewegen. Wie wunderbar es ist, geschmeidig dahinzugleiten, oben unter der Wasseroberfläche, wo das Licht hinkommt. Ich glaube, es –», ich ließ die Hände sinken. Hier saß ich mit einem anderen Menschen in diesem Menschenkasten, wo wir in unseren schlaksigen, langgliedrigen Körpern feststeckten, mit denen wir niemals so würden schwimmen können. «Ich glaube, das war’s so in etwa», sagte ich entschuldigend. Ich leckte den Löffel sauber und legte ihn neben das haarige Herz auf meinen Teller.
    «Das ist gut!», sagte er. «Viel besser, als gar keine Ahnung zu haben.» Er grub mit dem Löffel in den Ecken seines Seeherzens herum. «Und komischerweise so ähnlich wie der Name, den ich ihr damals gegeben habe – er bedeutet so viel wie helles Strahlen. Mir gefällt der Gedanke, dass ich vielleicht von selbst darauf gekommen bin.» Verschämt lächelte er mir zu und löffelte den restlichen Brei heraus.
    Ich lächelte zurück, aber er war schon wieder ernst geworden. «Wie war sie denn sonst so, da unten?», fragte er. «War sie froh, mich los zu sein? Hat sie sich überhaupt noch an mich erinnert, Daniel?» Er hielt sich die Hand vor den Mund, damit nicht noch weitere Befürchtungen daraus hervorsprudelten.
    Ich konnte nicht zu diesen flehenden Augen sprechen. Ich drehte mich auf dem Stuhl zur Seite, tat, als wollte ich meinen Teller vom Tisch abräumen, verharrte aber in der verdrehten Haltung und versuchte, mich zu erinnern. «Ach Dad, wer weiß das schon? Sie fühlen nicht die gleichen Dinge. Und sie denken auch nicht so wie wir hier oben. Sie reden auch nicht so – so wie wir jetzt reden.» Ich konnte ihn nicht anblicken; er würde so schrecklich niedergeschlagen aussehen. «Du willst von mir hören, dass sie dich vermisst hat. Aber willst du, dass ich dich anlüge? Mir ist nichts aufgefallen. Aber muss das bedeuten, du hast ihr deshalb
nicht
gefehlt?»
    Sein Gesicht brachte meine Gedanken durcheinander, und ich überlegte, was ich ihm Tröstliches sagen konnte. «Aber wegen deiner Frage, wie es ihr ging: Sie war im Meer sie selbst, das ist alles.» Ich suchte nach einer Möglichkeit, es ihm zu erklären. «Ihr taten endlich die Füße nicht mehr weh, weißt du, und sie konnte sich ganz frei und leicht bewegen, war nicht so bedrückt wie hier unter ihren schweren Decken –»
    «Dann war sie also glücklich», sagte er.
    Ich schüttelte den Kopf. «Das auch nicht. Aber sie war befreit von … sie schleppte nicht dauernd diese Traurigkeit mit sich herum, wie hier oben. Also nehme ich schon an, dass sie glücklich war, ja. Aber nein –»
    «Schon gut, Daniel – es ist
gut
, dass sie von ihrem Elend befreit war.» Er lächelte schmerzlich. «Ich wäre zwar froh, wenn sie mich in guter Erinnerung behalten hätte, aber ich will nicht das alte Elend durch ein neues ersetzen. Sonst hat das, was du getan hast, keinen Sinn.»
    «
Hat
es denn einen Sinn?» Ich blickte zum Fenster, als könnte die Antwort dort hereingeflogen kommen.
    «Aber ja, absolut. Irgendjemand musste es tun, und keiner von uns verhexten Männern hätte es je getan.»
    Wieder schüttelte ich den Kopf, weder zustimmend noch ablehnend, sondern weil ich darüber nachsann, dass man die Schmerzen des einen Menschen nicht lindern konnte, ohne einem anderen wehzutun.
    «Und was ist mit dir, mein Junge?», fragte er sanft.
    «Mit mir?» Ich selbst kam mir unwichtig vor verglichen mit der Tatsache, dass Mum für immer weg war.
    «Was ist mit dir – und den anderen Jungs, falls du das weißt, falls ihr euch unterhalten habt? Jetzt, nachdem ihr selbst da unten wart, im Meer gelebt habt, sehnt ihr euch genauso dahin zurück wie eure Mums?»
    «Ich weiß nicht.» Ich zog abwehrend die Schultern hoch.
    «Jetzt sag schon – wenn du könntest, wenn dir jemand den passenden Anzug nähen und für dich zaubern würde?»
    Ich versuchte, unter dem Tisch zu verschwinden. Ich stützte die Ellbogen auf die Knie und das Gesicht in die Hände und litt eine Weile darin vor mich hin. «Ja, aber nur weil … Weißt du, da unten hab ich mir keine Gedanken gemacht und nicht
gefühlt
. Aber hier –» Ich ließ den Kopf auf die Arme sinken; er konnte jetzt wohl nur noch meinen vorgebeugten runden Rücken hinter dem Tisch erkennen. «Hier geht’s immer um Gefühle und um Sorgen, und das macht mich so müde», murmelte ich in meinen Schoß.
    Sein

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