Seeherzen (German Edition)
mich von ihr weg, und wieder lachte sie. Diese Mädchen konnten einen ganz schön verunsichern.
«Was habt ihr denn in Knocknee vor, du und dein Dad?», fragte sie, als hätte sie ein Anrecht darauf, es zu erfahren.
«Mein Dad macht hier Geschäfte», gab ich zurück. Erneut durchsuchte ich die Menschenmenge, denn allmählich wünschte ich mir, er würde daraus auftauchen, vielleicht mit etwas zu essen für mich, irgendeiner typischen Cordlin-Leckerei.
«Stoffe kaufen?»
«Er muss jemanden finden. Ein Mädchen – wie dich.»
«Habt ihr denn
wirklich
keine, da auf Rollrock? Nur Jungen und Männer – und alle verrückt?»
«Wir haben
Frauen
», sagte ich gekränkt. «Wunderschöne Frauen – unsere Mütter.»
«Ja-a.» Sie sah mich wieder aus zusammengekniffenen Augen an und stieß noch mehr rauchigen Atem aus. «Das ist so was wie eure Spezialität, oder?»
«Was meinst du damit?» Ich versteifte mich noch mehr, wusste nicht, wie beleidigt ich sein sollte.
«Ich versuch gerade, mich zu erinnern. Ich hab einige Mums reden hören. Irgendwas war doch mit diesen Rollrockfrauen, oder?»
«Vielleicht», sagte ich. «Aber sie sind unsere Mums, also pass auf, was du sagst, sonst fängst du dir eine.»
«Na ja, sie müssen schon ungewöhnlich sein, wenn so ’n ungewöhnlicher Junge wie du dabei rauskommt», stellte sie sachlich fest, während sie mich von oben bis unten mit Blicken maß.
«In unserem Dorf sind sie ganz normal», sagte ich. «Vollkommen normal.» Damit wandte ich mich wieder der Menge zu – und der Sonne.
Dann kam Dad und rettete mich; er hatte mit seinen Fragen endlich Erfolg gehabt. Er wusste jetzt, wo wir nach dem Mädchen suchen mussten.
Wir gingen in einen stinkenden Teil der Stadt; vor dem Elternhaus des Mädchens stapelte sich ein Müllberg in einer Rinne und dümpelte darin umher, drinnen lag eine Katze in der Ecke, die ich für tot hielt, bis sie mir ihr garstiges Dreiecksgesicht entgegenhob und die Augen öffnete, die irgendeine entsetzliche Stadtkrankheit vollständig weiß gefärbt hatte.
Dad sprach mit einer Frau, die ich zuerst für die Großmutter des Mädchens hielt, weil sie kaum noch Zähne hatte und so runzelig war – doch wie sich herausstellte, handelte es sich um die Mutter. Sie sah meinen Dad an, als könnte er jeden Augenblick nach ihr schnappen, als wäre er nur hier, um sie reinzulegen, und als müsste sie auf der Hut sein.
Das Mädchen selbst hatte orangerote Haare wie jeder hier, war aber nicht so gepflegt wie das Mädchen vom Markt und auch nicht so schlank. Sie war ähnlich hibbelig wie ihre Mum und besaß dazu einen ganz eigenen, heimtückischen Zug. Mit gespitzten Ohren und geschürzten Lippen saß sie da, und ihr Blick schoss zwischen meinem Dad und ihrer Mum hin und her. Sie trug ihr Kleid auf merkwürdige Weise; die Träger verliefen hinten überkreuz, und die Enden, die zur Taille hinunterführten, hatte sie auf ihrer stämmigen Vorderseite ebenfalls überkreuzt. Bei ihrem Anblick wurde mir mulmig; wer nähte denn ein Kleid mit so langen Trägern? Es sah aus, als hätte sie ihren Kopf falsch herum aufgesetzt. Sie ignorierte mich, als wäre ich zu jung, um irgendwie von Bedeutung zu sein, worüber ich froh war.
Sie sprachen über Geld; ihre Mum wollte welches, und Dad erwiderte, dass Rollrock keins zahlen müsste, schließlich würden wir schon für die Kleidung und Unterkunft des Mädchens aufkommen. Er schien das Mädchen zu kaufen, schien etwas zu kaufen, das es tun konnte. Ehrlich gesagt sah dieser merkwürdige grauhäutige Mädchenklumpen nicht so aus, als wäre er zu besonders viel imstande. Sie wirkte eher wie jemand, der sich möglichst vor jeder Arbeit drückt.
Dad holte tief Luft. «Sie haben elf von der Sorte, Mrs. Callisher. Sind Sie nicht froh, dass Ihnen jemand zumindest eine Last von den Schultern nimmt?»
«Die hier isst wie ’n Vögelchen, auch wenn sie nicht so aussieht», spie ihm die Mum entgegen. «Warum nehmen Sie nicht eins von den größeren Mädchen, meine Gerty oder meine Lowie? Dünn wie Bohnenstangen sind die, obwohl sie das Essen wie hungrige Kälber in sich reinstopfen.»
«Sie wissen ganz genau, warum: Die hier hat die Gabe. Sie wird von unserer Misskaella angelernt, bis sie sich selbst nützlich machen kann.»
Misskaella? Was hatte denn die alte Krähe, die immer hustend und knurrend in ihren Flatterkleidern durch Potshead zog, damit zu tun?
«Nützlich wobei? Nützlich beim Meerjungfrauenfangen, das ist es!
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