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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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Grinny verdattert.
    «Aggie Bannister?», fragte ich dümmlich.
    Sie lief bergab durch das Dorf, in der Düsternis so blass wie ein herabfallender Lichtstrahl. Schon seit geraumer Zeit hatte sie sich von uns abgeschottet. Aran war seit dem Vorfall oben in Wholemans Pub kaum noch zum Spielen nach draußen gekommen – Timmy und Cornelius auch nicht –, keiner der Bannister-Jungs. Bannister selbst hatten wir seit letztem Frühling kaum zu Gesicht bekommen; damals hatten sie ihr neugeborenes Töchterchen dem Meer übergeben müssen. Seine Trauer um sie war so groß gewesen, dass er sich nur mit Mühe und Not zu einem der Boote und nach getaner Arbeit wieder zurück schleppen konnte.
    «Los, lauf ihr hinterher!», rief Grinny. «Und dann komm zurück und erzähl mir, was los ist!» Er scheuchte mich mit einer Handbewegung fort und schloss das Fenster, nickte mir mit fiebrigen Augen zu.
    Also rannte ich bergab, so wie ein paar andere Jungs auch. Es waren genug Leute draußen unterwegs – eingepackt in Mäntel und Hüte, das Gesicht vor Kälte verkniffen –, um mit ihrem Lärm andere aus dem Haus zu locken; überall, wo wir vorbeiliefen, hinterließen wir eine Spur aus geöffneten Haustüren, aus
Was-ist-los?
und
Wo-rennt-ihr-Jungs-denn-hin?
    Ich verlangsamte meine Schritte nicht, um ihnen zu antworten. Aggie bog gerade in die Low Corner ein. Ich befürchtete, sie könnte dort ausrutschen und hinfallen, und nahm weiteres Tempo auf. Wir schlitterten um die Ecke herum; sie war direkt dahinter gestürzt. Männer rannten auf sie zu, wollten ihr aufhelfen, wussten aber plötzlich nicht mehr, was sie tun sollten, denn sie war nackt. Einer zog sich den Mantel aus. Den Frauen blieb kaum Zeit, «Aggie!» zu rufen, als Aggie sich auch schon wieder aufrappelte und weiterlief. Der Sturz hatte sie ordentlich erschüttert, und um ein Haar wäre sie frontal gegen eine Hauswand geknallt, wie eine entlaufene Kuh, die keine Ahnung von Häusern und Straßen hat und nicht weiß, wie man durch sie hindurchläuft.
    Sie sammelte sich kurz, dann rannte sie weiter. Einige Mums wollten ihr nachsetzen, doch ihre Männer hielten sie zurück. «Ist doch klar, wo sie hinwill», sagte Robert Dunkling, während er seine Frau an der Hand zum Anfang der Totting Lane zog. Wir begriffen, dass er recht hatte, und rannten alle hinterher – unser kleiner Jungentrupp überholte sie und lief ihnen voraus die Totting und Fishhead Lane hinunter, wo Leute die Fenster aufrissen und uns etwas hinterherbrüllten; an der nächsten Wegabzweigung schlüpften wir unter dem Geländer hindurch und stolperten zum Ufer hinunter, den Blick nach Süden gerichtet, wo Aggie noch nicht wieder aufgetaucht war.
    Und dann sahen wir sie, ein schimmerndes schmales Strichmännchen, das entschlossen durch den einsetzenden Regen stürmte. Mehrere Mums rannten ihr hinterher, ließen sich von den Männern nicht aufhalten.
    «Sie sind nicht schnell genug», sagte ein Mann auf dem Weg oberhalb der Promenade.
    «Ja, sie wird sie problemlos abhängen.»
    Und schon war Aggie auf der Promenade angelangt. Sie entdeckte die anderen Mums, beschloss, nicht auf die Treppen zuzulaufen, wo man sie abfangen konnte, und kletterte stattdessen über die Steinblöcke an der Südmole nach unten.
    «He! Halt!»
    «Auf den Steinen da verletzt sie sich. Sie bricht sich – oh!» Aggie war ausgerutscht und zwischen die Felsblöcke gestürzt.
    «Aber sie steht schon wieder. Sie blutet!»
    Wir Jungs hatten mittlerweile das Ufergeländer erreicht, die Erwachsenen kamen angestürmt, um sich neben uns dagegenzulehnen, das ganze Dorf reihte sich dort auf, um zuzuschauen. Die jüngeren Männer wandten das Gesicht ab, verbargen ihr verlegenes Grinsen voreinander. Die älteren Männer blickten mit gefasstem Gesichtsausdruck zu Aggie hinüber. Die Mums schlugen sich die Hände vor die besorgten Gesichter; keine von ihnen sprach ein Wort, weder mit den Männern noch miteinander, und sie ließen Aggie nicht einen Moment aus den Augen.
    Irgendwie war es ihr gelungen, sich bis zum Strand vorzukämpfen. Mit blutigen Knien, Hüften und Ellbogen hastete sie hinkend über die Steine. Jetzt rannten einige Männer, darunter ein paar Dads, doch noch die Stufen hinunter, um Aggie auf diesem Weg zu fassen zu bekommen, doch sobald sie die Männer entdeckte, hielt sie schnurstracks aufs Wasser zu, stolperte schwerfällig vorwärts, als würde sie sich bereits dort unten in eine Robbe verwandeln und als müsste sie sich den Rest

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