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Seeherzen (German Edition)

Seeherzen (German Edition)

Titel: Seeherzen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margo Lanagan
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kleine Thomas Davven neben mir zu Wort. Jetzt, wo ihn keine schützende Menschenmenge mehr umgab, wurde er vom kalten Wind durchgeschüttelt, und er hielt sich selbst umklammert. Mit einem Kopfnicken deutete er auf Misskaella, die sich Richtung Ufer durch die Dünen kämpfte. «Wofür würdest
du
dich denn entscheiden, wenn du zwischen ’ner Frau wie der da und unseren schönen Mums wählen müsstest?»
    «Stimmt schon, Ed, da hat man nicht grad die Qual der Wahl», sagte Gordon Crockett.
    Auch Edward blickte jetzt zu Misskaella hinüber. «Trotzdem», sagte er, die Zähne fest zusammengepresst, damit sie nicht klappernd aufeinanderschlugen. «Trotzdem hätten sie’s niemals tun dürfen. Sie gehören nicht hierher. Ihr Zuhause war unter den Wellen, und da gehören sie auch immer noch hin.»
    «Sie gehören zu
uns
, zu ihren
Kindern
», fuhr Kit Cawdron ihn an und rannte zu seiner Mum, um nicht noch mehr hören zu müssen. Ich spürte, dass sich meine Altersgenossen um mich herum genau wie ich wünschten, jung genug zu sein, um es Kit gleichzutun; stattdessen mussten wir zwischen den älteren Jungs ausharren und so tun, als machten uns ihre Bemerkungen nichts aus.
    Aggies Körper hob sich leuchtend vor dem grün-grauen Meer und dem grau gesprenkelten Kiesstrand ab. Auch die blassen Füße der Männer leuchteten, als sie sich bereit machten, Aggie aus dem seichten Wasser herauszuziehen. Spielerisch stupste das Wasser Aggie an, als wäre es stolz auf das, was es getan hatte, und als erwarte es, dafür von uns gelobt zu werden. Ganz in der Nähe lag Aggies schwärzlich schimmernder Pelz – wie ein Schatten, den sie abgeworfen hatte und der sich ohne sie nun nutzlos in den kleinen Wellen kringelte und von ihnen herumgeschubst wurde. Die übrigen Männer und einige Mums kamen über den Strand herbeigelaufen, lauter Mützen und Mäntel, Stiefel und dunkle Röcke, hier und da ein farbenfroheres Tuch. Alle waren gut eingepackt – nur Aggie nicht, die nackt und ungeniert in ihrer Mitte lag; die Männer blickten abwechselnd zu ihr hin und wieder weg.
    Misskaella eilte herbei, ein Wirbelwind aus rot-weißen Haaren über einem schmutzigen schwarzen Mantel mit Aschespuren um die Hüften. Die Decke schleifte zu beiden Seiten über den Boden, bis Misskaella den Wassersaum erreichte und sie hineinwarf. Sie fiel über Aggie und bedeckte sie sittsam, sodass der Bergungsaktion der Männer nichts mehr im Wege stand.
    Und nun war mir egal, was die größeren Jungen oder meine Altersgenossen von mir dachten – ich musste meine Mum sehen, und sie war nicht unter den Mums, die aus dem Dorf heruntergeströmt gekommen waren, um zuzuschauen. Sie lag unter ihrer Decke im Bett, und kein Geschrei auf der Straße hätte sie darunter hervorlocken können.
    Ich rannte bergauf, fort von der Menschenmenge, der Hexe und dem Unglück. Es war mir gleich, ob Mum unter ihrer Decke redete, weinte, schlief oder sich vor mir versteckte; alles, was ich wollte, war, mit ihr in einem Raum zu sein, ihre hügeligen Umrisse zu sehen und zu wissen, dass sie nicht nackt und ertrunken dalag, während ganz Potshead sie anstarrte.
    Ich öffnete die Haustür, ging hinein und setzte mich in Mums Zimmer ans Fenster. Mein Atem, der während des Laufens immer stockender und schluchzender geworden war, beruhigte sich recht schnell, wurde ruhiger als der Wind draußen, ruhiger als das Meer, das anschwoll, innehielt, in sich zusammenfiel. Mums Atem ging sogar noch ruhiger – ich konnte ihn nicht hören, sah nur, wie er sich auf und ab bewegte.
    Dann und wann brach die Sonne durch die Wolken, brachte das Meer zum Leuchten, und silbrige Spiegelungen schwammen über die Zimmerdecke. Die Möbel standen schlicht und stabil an ihren Plätzen; der Teppichvorleger – ich erinnerte mich, wie Mum ihn gemacht hatte, an die Drehbewegungen ihrer Finger und ihr singendes Gesicht – lag neben dem Bett, wie er es immer getan hatte und immer tun würde. Auf dem Tisch verteilten sich ihre Muscheln und Steine, die ihr etwas bedeuteten, ihre roten, blauen und milchweißen Strandglassteine, die das Meer glatt und schön geschliffen hatte. Beim Anblick dieser Dinge vergaß ich die Bannisters, die anderen Mums und die Männer.
    Mum erwachte – oder bemerkte meine Anwesenheit – und drehte sich plötzlich aus ihrem Haar- und Deckenknäuel heraus zu mir. Auf ihrer Wange prangten Abdrücke von Haarsträhnen, Seegrasgewebe und Kissenfalten. Sie hatte ihren Gesichtsausdruck nicht für

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