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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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machte.
    »Ist er sehr groß?«, fragte ich.
    »Nein, durchschnittlich«, antwortete sie verdutzt.
    »Oh gut, dann kann ich die hier ausziehen«, sagte ich, zog meine Schuhe aus und erlaubte meinen armen, gequetschten Zehen, sich im kühlen Gras zu strecken. Ich ließ die Schuhe an der Mauer bei Frances, die damit beschäftigt war, meinen Teller zu leeren.
    »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, wenn ich frage, aber seid ihr ein Paar, du und Rad?«, fragte Anne, als wir am Festzelt vorbeikamen. »Ich habe Frances schon gefragt, aber sie hat nur hysterisch gelacht.«
    Einen Augenblick lang erwog ich eine unverfrorene Lüge: Wenn sie wüsste, dass Rad noch zu haben war, wäre sie hinter ihm her wie ein Windhund hinter einem elektrischen Kaninchen. Aber ein älterer Anspruch meinerseits würde sie wahrscheinlich auch nicht groß abschrecken. Sie schuldete mir keine Loyalität und sah aus wie jemand, der daran gewöhnt war, zu kriegen, was er will. Trotzdem wollte ich es ihr nicht leicht machen.
    »Es ist kompliziert«, sagte ich mit bedeutungsvollem Blick, und sie schenkte mir ein mitfühlendes, wissendes Lächeln von Frau zu Frau.
    »Was ist kompliziert?«, sagte eine Stimme direkt hinter mir, und ich wurde vor Verlegenheit fast ohnmächtig, als Rad mit amüsiertem Gesicht den Kopf um die Zeltklappe streckte.
    »Nichts. Alles. Ich darf mich nicht aufhalten«, stotterte ich und deutete auf Anne, die mit großen Schritten vorwegging. Das würde mir eine Lehre sein. »Ich lerne einen Ruderer kennen.«
    »Einen Bruder?«, sagte Rad, als ich floh.
    »Ich hoffe, er hat nicht alles gehört«, sagte ich.
    »Ja. Das würde die Komplikationen noch komplizieren«, sagte Anne unschuldig. Ich hatte das Gefühl, sie hatte mich durchschaut. »Das ist Frank«, fügte sie hinzu und zeigte auf einen der Typen in Smokingjacke, die, wie ich vorher beobachtet hatte, Probleme mit dem Walzertanzen hatten. »Er studiert in Cambridge.« Sie hatte gerade seine Aufmerksamkeit erregt und winkte ihn zu uns herüber, als sie plötzlich innehielt und ihr Griff um meinen Arm fester wurde. »Oh Scheiße. Was macht der denn hier?« Ich folgte ihrem Blick und sah den Jungen in Jeans, der auf dem Apfelbaum gesessen hatte. Er lungerte lächelnd und nickend am Rande einer Gruppe herum, als wäre er am Gespräch beteiligt, was er offensichtlich nicht war. Er sah nicht ganz normal aus.
    »Den habe ich eben bei den Bienenstöcken gesehen«, sagte ich.
    »Ich wünschte, es wären Killerbienen.«
    »Wer ist das?«
    »Mein Exfreund Grant. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen jemanden vors Tor stellen, damit er nicht reinkommt. Scheiße, Scheiße Scheiße. Frank, das ist Abigail. Kannst du auf sie aufpassen?«, sagte sie zu meinem neu ernannten Wächter, der mit einer Champagnerflasche in der Hand näher gekommen war. Sie drehte sich auf dem Absatz um. »Ich muss Dad und Neil suchen. Entschuldigt.« Und sie hob den gefährlichen Saum ihres Kleides hoch und lief forsch dahin zurück, wo wir hergekommen waren.
    »Hallo Abigail«, sagte Frank und füllte mein Glas.
    »Hallo.« Er hatte ein großes sommersprossiges Gesicht und einen freundlichen Akzent. Was war es für einer? Kanadisch?
    »Du siehst aus, als wäre dir ein bisschen kalt.« Irisch. Es war eine warme, beruhigende Stimme, und außerdem war ich nicht scharf auf ihn, also konnte ich mich entspannen.
    »Das stimmt«, sagte ich. »Abendgarderobe für Männer und Frauen scheint für unterschiedliche Klimata entworfen worden zu sein. Ist dir das schon aufgefallen?«
    »Man braucht Thermalunterwäsche«, sagte er. »Oder Terminalunterwäsche, wie meine Granny es nennt.« Er testete mit dem Handrücken die Temperatur meiner Arme, die von Gänsehaut überzogen waren. »Du kannst meine Jacke haben«, sagte er galant. »Obwohl es schade ist, dein hübsches Kleid zu verdecken.« Er half mir hinein, und ich stand da, meine Fingerspitzen ragten unter den Manschetten hervor, wie eine Zehnjährige in einem Schulblazer, der auch in den nächsten fünf Sommern noch passen muss. Ohne Schuhe und mit Jacke fühlte ich mich zum ersten Mal an dem Abend wohl.
    »Du studierst in Cambridge«, sagte ich. »Was machst du da?«
    »Meistens rudern. Trinken. Im Sommer Kricket.« Er musterte mich von Kopf bis Fuß. »Du solltest mal Steuerfrau spielen. Du bist dafür genau richtig gebaut.«
    »Danke. Glaube ich.« Ich war es nicht gewöhnt, dass mein Körper nach seinem »Bau« beurteilt wurde. Das erinnerte mich an einen Schornstein oder

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