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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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an dem Rad allein saß, mit verschränkten Armen und gelangweiltem Gesichtsausdruck. »Sieh dir den jämmerlichen alten Kerl an«, sagte er lachend und wischte sich die verschwitzten Stirnfransen aus den Augen. Es wurde immer heißer. »Komm«, schrie er, als er nach einigem Winken endlich Rads Aufmerksamkeit erregt hatte. »Komm und tanz mit.«
    Rad kräuselte verächtlich die Lippen. Mr. Darcy, dachte ich. War er für eine solche Brüskierung nicht in die Knie gezwungen worden? Ermutigt durch diesen Präzedenzfall ging ich zu seinem Tisch. Das höhnische Lächeln verwandelte sich in Rads typischen missbilligenden Blick. Es entstand eine kurze Pause, als der DJ die Platten wechselte.
    »Schöne Schuhe«, sagte er sarkastisch.
    »Schöner Haarschnitt.«
    Wir starrten uns wütend an. »Du hast ja nicht viel Zeit verschwendet«, sagte er und deutete mit einem Nicken auf Franks Jacke.
    »Was meinst du damit?« Die Musik brach wieder los und übertönte seine Antwort.
    Nach ein paar gebrüllten Wortwechseln, die aus »Was?« und »Sprich lauter« bestanden, stand Rad auf. »Lass uns gehen«, las ich von seinen Lippen ab, und er trieb mich zurück in den Garten, wo es jetzt kalt und dunkel war. Kleine Galaxien aus bunten Lichtern schimmerten in den Zweigen, und aus dem Haus strömte bis hin zum Krocketrasen ein gelbliches Leuchten. Ein starker Wind zerrte an den Kleidern der Frauen und an der losen Klappe des Festzelts.
    »Was hast du da drin gesagt?«
    »Ich hab gesagt, du und dieser Ire habt ja nicht lange gebraucht, euch an die Wäsche zu gehen.«
    »Dieser Ire!«
    »Wie er auch immer heißt.« Es folgte eine Pause. »Frank«, kapitulierte er.
    »Wir sind uns nicht gerade an die Wäsche gegangen. Er hat mir nur seine Jacke geliehen, weil mir kalt war. Das hast du mir nicht angeboten.«
    »Ich trage keine Jacke«, protestierte er. »Willst du, dass ich mein Hemd ausziehe?«
    »Das ist sowieso Nickys Hemd.«
    »Oh-oh«, sagte Rad und fasste mich am Ellenbogen. Auf den Stufen vor der Verandatür stand Anne und spähte in die Dunkelheit, offensichtlich auf der Suche nach jemandem. »Hast du Rad gesehen?«, hörten wir sie Neil fragen, der bei dem Wind versuchte, sich eine Zigarette anzuzünden.
    »Schnell«, sagte Rad, zog mich ins Gartenhaus und schloss die Tür. Drinnen war es warm und trocken, mit einem muffigen Geruch nach ausgedörrtem Holz. Ich wischte einen der Banksitze ab, die an den Wänden entlangliefen, wobei große Stücke weißer Farbe absplitterten.
    »Hier.« Rad reichte mir ein verblichenes Kissen, und wir setzten uns, etwa zehn Zentimeter auseinander, und lauschten den gedämpften Geräuschen der Party.
    »Magst du sie nicht?«, fragte ich. »Frances glaubt das.«
    »Frances weiß überhaupt nichts. Was glaubst du?«
    »Das geht mich nichts an.«
    »Sie ist ein bisschen zu direkt«, sagte er. »Sie schickt ständig ihre Freunde rüber, um mich zu verhören. Sie scheinen zu glauben, wir gehen zusammen.«
    »Ich weiß nicht, wie sie darauf kommen.«
    »Nein. Lächerlich, was?« Wir lachten und schüttelten die Köpfe über dieses Beispiel menschlicher Torheit, und dann senkte sich Schweigen auf uns wie dicker Nebel.
    »Es ist Viertel vor elf«, sagte ich schließlich und sah auf die Uhr. »Es kommt mir vor, als müsste es später sein. Oder früher.« Trottel, dachte ich. Glücklicherweise schien er es nicht bemerkt zu haben.
    »Ich werde das wahrscheinlich bereuen«, sagte Rad.
    »Tja, dann tu es nicht.«
    »Aber ich könnte es bereuen, wenn ich‘s nicht tue. Hast du was dagegen?« Und bevor ich die Chance hatte zu antworten, beugte er sich vor und küsste mich.
    Das ist Rad, war mein einziger Gedanke.
    »Da. Das wollte ich schon seit Ewigkeiten tun«, sagte er, als wäre mich zu küssen wieder eine so lästige Pflicht, die man auf der Liste abhaken konnte, wie sich zum Beispiel neue Absätze an die Schuhe machen zu lassen. »Jetzt wirst du mir wahrscheinlich eine runterhauen und etwas völlig Niederschmetterndes sagen.«
    »Nein, werde ich nicht«, sagte ich, immer noch zu benommen, um etwas Kluges zu erwidern.
    »Tja, das ist ja eine Erleichterung.« Er küsste mich noch einmal, diesmal selbstsicherer, und schon als das geschah, prägte ich mir jedes Detail des Augenblicks ein, sodass ich es in meiner Fantasie tausendmal wieder durchleben konnte. Als er sich an mich drückte, müssen seine Hemdknöpfe sich in den Fäden meines Kleides verheddert haben, denn als wir uns voneinander lösten, war da das

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