Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Geländer.
    Clarissa stand im Flur und kritzelte eine Nachricht auf den Telefonblock. Als sie seine Stimme hörte, zuckte sie zusammen. »Ach Rad, hast du mich erschreckt. Ich dachte, es wäre niemand da. Hallo Abigail, bist du auch hier?«, fügte sie hinzu, als ich an Rads Seite erschien. »Ihr wart doch nicht im Bett, oder?«
    »Nein, wir waren drauf«, sagte Rad. Wir gingen nach unten.
    »Wo ist deine Mum?«
    »Ist sie nicht im Büro?«
    »Sie hat sich angeblich frei genommen, damit wir zusammen zur Blumenschau gehen können. Sie sollte mich schon vor einer Stunde abholen.«
    »Sie muss es vergessen haben.«
    »Hat sie irgendwelche Sorgen?«, fragte Clarissa. »Das ist schon das zweite Mal in vierzehn Tagen, dass sie mich versetzt hat.«
    »Vielleicht macht sie sich Sorgen über Frances‘A-Level-Ergebnisse?«, schlug ich vor. Rad und Clarissa schienen diese Idee höchst amüsant zu finden.
    »Ich wollte mir sowieso ein paar Klamotten von ihr borgen, also kann ich sie genauso gut gleich mitnehmen, wenn ich schon mal hier bin.« Sie sah die gereinigten Sachen durch, die an der Bilderleiste hingen. »Die sind gut«, sagte sie. »Macht weiter«, waren ihre letzten Worte, bevor sie mit großen Schritten die Auffahrt hinunterlief und meterweise sich blähendes Plastik hinter sich herzog.
    Innerhalb der nächsten Minuten kam Frances mit einer neuen Jeans und einer Tüte Apfeldoughnuts vom Einkaufen zurück, und der Moment, mit irgendetwas weiterzumachen, war zu meiner großen Enttäuschung und Erleichterung vorbei.

34
    Vielleicht ist sie in den Wechseljahren«, sagte Birdie und legte Die Fahrt zum Leuchtturm weg. Sie saß im Wohnzimmer der Radleys quer über einem Sessel und ließ die Beine baumeln.
    Ihre Angewohnheit, uns zu besuchen und sich dann die ganze Zeit in einem Buch zu vergraben, fand Frances bizarr und beunruhigend. »Wieso macht man sich auf den langen Weg von Wimbledon hierher, nur um rumzusitzen und zu lesen? Das könnte sie auch zu Hause tun.« Aber Birdie schien zufrieden damit, nur mit uns zusammen zu sein, und hatte kein Bedürfnis nach zusätzlicher Unterhaltung. Ich fand das beruhigend. Es war natürlich, ungezwungen; es war das, was eine Schwester tun würde. (Ich kam erst später auf die Idee, dass sie vielleicht gar nicht kam, um uns zu sehen.) Ich saß im Schneidersitz vor ihrem Sessel auf dem Boden und zog ein paar von Lexis Bernsteinketten neu auf. Frances war dabei, ihre neue Jeans aufzupeppen, indem sie Schlitze in Knie und Hintern schnitt und die Löcher mit fleischfarbenem Stoff fütterte. Rad lag schlafend auf der Couch.
    »Wird man deswegen denn vergesslich?«, fragte Frances. »Ich dachte, es würde einem nur heiß und man schwitzt.«
    »Nein. Manche Frauen drehen total durch.«
    Der Anlass ihrer Sorge war Lexi. Sie hatte gerade den Kopf durch die Tür gesteckt und uns gesagt, dass sie mit Clarissa Golf spielen wollte, und wir hatten gehört, wie sie im Schrank unter der Treppe herumgeklappert hatte, wo sie ihre Schläger aufbewahrte. Einen Augenblick später war sie mit dem Staubsauger über der Schulter wieder aufgetaucht, und bevor sie einer von uns abfangen konnte, hatte sie ihn in den Kofferraum geschmissen und war losgefahren.
    »Vielleicht macht sie sich Sorgen um Auntie Mim.« Alle waren sich einig, dass Auntie Mim kränkelte: Ihr Appetit hatte sich noch weiter verschlechtert; sie nahm jetzt schon seit Tagen nur dünnen Tee und Aspirin zu sich.
    »Mum ist nicht der Typ, der sich Sorgen macht.«
    »Ich auch nicht«, sagte Birdie. »Wenn man ein Problem hat, muss man was dagegen tun. Wenn man nichts tun kann, hilft es auch nichts, sich Sorgen zu machen.«
    Hier war endlich der Beweis für einen genetischen Unterschied: Ich machte mir Sorgen über Dinge wie den Ausbruch der Legionärskrankheit in einem Land, das ich nie besucht hatte. Wenn im Fernsehen ein Bericht über einen kleinen Asteroiden auf Kollisionskurs zur Erde gezeigt wurde, überlegte ich sofort, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass er auf mir landete. Was Katastrophen betraf, kam ich mir immer vor wie ein versicherungsstatistisches Phänomen, das nur darauf wartete, einzutreffen; wenn ich die Zeitung las, identifizierte ich mich nur mit den großen Pechvögeln, eher mit dem, der an einer Erdnuss erstickt war, als mit dem Toto-Gewinner.
    »Sie muss überarbeitet sein«, sagte Frances.
    »Wer ist überarbeitet?«, fragte Mr. Radley, der hereingeschlendert kam. »Ich bin es ganz sicher.« Er warf sich auf die

Weitere Kostenlose Bücher