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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
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vor Erleichterung fast zusammen.
    »Ach, Gott sei Dank.« Für Mutter scheint es damit erledigt zu sein. Ich bin nicht benutzt und danach fallen gelassen worden - nur fallen gelassen, was nichts ist. Für mich jedoch ist der Gedanke, nicht mit ihm geschlafen zu haben, nicht der Trost, der es sein soll. Jetzt wünschte ich, ich hätte es getan. Ich wünsche mir, ich wäre schwanger. Alles, um die Verbindung aufrechtzuerhalten.
    »Bis morgen hat er es sich bestimmt anders überlegt«, sagt sie. Zufrieden darüber, dass wir »es« nicht getan haben, ist sie bereit, mir so viel zuzugestehen. »Du weißt doch, was für ein temperamentvoller Haufen sie sind.« Diesen kleinen Seitenhieb kann sie sich nicht verkneifen.
    »Was ist hier für ein Krach?« Meine Großmutter ist von unseren Stimmen aufgewacht. Ich werfe Mutter einen flehenden Blick zu und laufe die Treppe hinauf in mein Zimmer, um Grannys inquisitorischem Empfang zu entgehen.
    Sie hat Recht, sage ich mir selbst. In einer Minute wird er anrufen und sich entschuldigen. Mr. Radley wird es ihm erklärt und mich völlig entlastet haben. Rad wird von Gewissensbissen und Schuldgefühlen überwältigt sein. Ich überzeuge mich so vollkommen davon, dass ich schon bald plane, wie ich reagieren werde, wenn er anruft. Großmütig: Wir vergessen einfach, dass es je passiert ist. Vielleicht ein bisschen gekränkt oder sogar tief verletzt. Vielleicht mache ich eine Bemerkung über meine gegeißelten Beine. Während der Abend sich hinzieht, Minute um Minute, und das Telefon schweigt, wird die Reaktion, die ich eingeübt habe, immer versöhnlicher. Ich beginne daran zu zweifeln, dass das Telefon funktioniert, aber als ich abnehme, ertönt das Freizeichen und macht sich über mich lustig. Als ich den Hörer wieder auflege, kommt mir in den Sinn, dass Rad sich vielleicht entschieden hat, genau in dieser Sekunde anzurufen, und als er nur das Besetztzeichen hörte, aufgegeben oder seine Meinung geändert hat. Oh bitte, lass ihn bitte bei mir anrufen, flehe ich den Gott an, an den Rad nicht glaubt. Was tun sie denn dort? Sie können doch nicht ausgerechnet heute Abend essen gegangen sein, jetzt wo Lexi weg ist und ich in der Verbannung schmachte. Vielleicht hat er mich schon eine ganze Weile gehasst und nur auf eine Gelegenheit gewartet, mich loszuwerden. Ich gehe in meinem Zimmer auf und ab und rechne nervös nach, um welche Zeit sie wahrscheinlich aus dem Restaurant zurück sein werden. Ich rechne aus, wie lange es dauert, bis sie hingefahren sind, geparkt haben, bestellen, essen, zahlen und wieder zurückfahren. Als der festgelegte Augenblick naht und vorbeigeht, fängt die Zeit, die sich den ganzen Abend über quälend hingezogen hat, an zu rasen, und es ist Mitternacht, und alle Hoffnungen sind zerstört.
    Mutter kommt hoch, bringt mir eine Tasse heiße Schokolade - ich habe das Abendessen verweigert - und überredet mich, ins Bett zu gehen. Ihre Geduld, was Rad betrifft, lässt nach: Wenn sie ihn vor mir in die Finger bekommt, wird sie ihm sicher die Meinung sagen. Ihre Loyalität mir gegenüber ist rührend, aber auch lästig. Ich bin vom Weinen erschöpft, als wäre all meine Energie mit dem Salzwasser ausgelaufen. Ich komme mir vor wie eine leere Batterie. In dieser Nacht besteht mein Schlaf aus einer Reihe angenehmer Träume, aus denen ich mit einem flüchtigen Gefühl der Erlösung erwache, auf das niederschmetternde Enttäuschung folgt, wenn ich mich erinnere.
    Am Morgen steht ein Pappkarton mit meinen Schuhen, meinem Portemonnaie und den restlichen Klamotten, die ich in Frances‘ Schrank aufbewahrt hatte, vor der Haustür. Rad muss sie mitten in der Nacht vorbeigebracht haben, damit er mich nicht sehen muss. Ich durchwühle verzweifelt den Inhalt, in der Hoffnung, ein paar Zeilen zu finden, einen Zettel mit seiner Handschrift, irgendwas, aber natürlich ist da nichts. Er hat nicht mal meinen Namen auf den Karton geschrieben. Die Kleider sind ordentlich zusammengelegt. Ich kann mich nicht entscheiden, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen ist, aber ein Zeichen ist es sicherlich. Ich sehe überall Omen: Der blaue Himmel bedeutet Hoffnung; die einzelne Elster eine Katastrophe. Wenn ich wieder oben bin, bevor Mutter mich ruft, wird er anrufen; wenn nicht, dann nicht. Mitten auf der Treppe fragt sie mich, ob ich frühstücken will, und ich reiße ihr fast den Kopf ab.
    Um neun Uhr kapituliere ich und wähle die Nummer der Radleys. Es ist die einzige außer meiner

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