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Seejungfrauen kuesst man nicht

Seejungfrauen kuesst man nicht

Titel: Seejungfrauen kuesst man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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habe. Ich werde am Rand herumstehen, und wenn er meinen Blick auffängt, werde ich lässig wegschauen, damit er nicht denkt, ich bin eine traurige, verzweifelte, sich verzehrende alte Jungfer, und dann werde ich würdevoll, aber enttäuscht nach Hause schleichen und mich derart grämen, dass ich wahrscheinlich Krebs kriege.
    Ich traf Grace auf der Damentoilette. Sie zog sich um und schlüpfte gerade in ein braunes Samtkleid. »Gott, siehst du sauer aus«, sagte sie fröhlich. »Gehst du nach Hause?«
    Ich nickte. »Willst du dir mit mir ein Taxi teilen?«
    Sie holte einen Kübel Puder und eine riesige, buschige Bürste hervor und puderte heftig ihr Gesicht. »Nein, ich gehe noch mit ein paar Leuten zu Ronnie Scott. Wieso kommst du nicht mit?«
    »Das würde ich auch, wenn ich nicht zurechtgemacht wäre wie eine Gouvernante«, sagte ich und ließ meinen langen Rock flattern. Das Neonlicht über den Spiegeln verlieh meinem Gesicht einen gesprenkelten, leicht violetten Stich. »Ich bin eindeutig aus den besten Jahren heraus«, sagte ich und schnitt meinem Spiegelbild eine Grimasse. »Was bedeutet ich muss sie schon erlebt haben.«
    Grace drehte einen meißelförmigen Lippenstift hoch und malte sich mit festen, schwungvollen Strichen die Lippen an, wie meine Mutter es früher getan hatte, ohne jede Rücksichtnahme auf ihre natürliche Form. »Ach, komm schon«, sagte sie, ließ ihn wieder in ihr Kosmetiktäschchen fallen und sah mich bedeutungsvoll an. »Ich wette, du bist jetzt attraktiver als, sagen wir, vor dreizehn Jahren.«
    Draußen lag ein Zentimeter lockerer, nasser Schnee, und es schneite immer noch dicke Flocken. Am Taxistand hatte sich eine lange Schlange gebildet, deshalb beschloss ich, mit dem Cello zur Hauptstraße zu laufen. Mein Auto konnte bis morgen auf seine Rettung warten. Dann hätte ich etwas zu tun. Ich stand an der Ecke Aldersgate Street, als ein Motorradfahrer neben mir am Bordstein hielt und mit einer behandschuhten Hand gestikulierte. Instinktiv trat ich ein paar Schritte zurück und hielt meine Handtasche fester. Er trug Lederklamotten und einen schwarzen Sturzhelm, den er jetzt abnahm. In der Ferne erschien ein Taxi mit einem leuchtenden gelben Licht, und ich wollte gerade den Arm heben, als eine vertraute Stimme sagte: »Dacht ich mir doch, dass du‘s bist«, und Rad kam aus seiner Schale hervor.
    »Oh«, sagte ich mit unendlicher Erleichterung. »Ich dachte, du wärst ein Straßenräuber.«
    »Tja, bin ich nicht. Hör zu, tut mir Leid, dass wir nicht viel Gelegenheit hatten, uns zu unterhalten.« Das Taxi hielt mit ratterndem Motor hinter ihm, und der Fahrer beugte sich herüber und kurbelte das Fenster runter. »Vassall Road, Vauxhall«, sagte ich. »Können Sie einen Moment warten?« Er sah auf die Uhr und nickte.
    »Ich hätte dir ja angeboten, dich mitzunehmen«, sagte Rad. »Aber ...« Er blickte vom Motorrad zum Cello. Einen Augenblick lang stellte ich mir vor, wie ich auf dem Soziussitz mitfuhr und das Cello neben mir über die Straße holperte.
    »Ich wollte dich fragen, wie es deinen Eltern geht«, sagte er.
    »Sie sind wieder zusammengekommen - noch im selben Sommer. Ihnen geht‘s gut. Und deinen? Wie geht‘s Lexi?«
    »Sie ist noch mit Lawrence zusammen«, sagte Rad. »Sie wohnen in Chiswick. Ich sehe sie ziemlich oft, seit ich wieder da bin. Dad hat jetzt einen anständigen Job - in letzter Minute. Einer seiner alten Kollegen aus dem Umweltministerium hat ihm einen verschafft - er ist zwar unbedeutend, aber ...«
    »Hat er wieder geheiratet?«, fragte ich und wischte mir Schneeflocken von den Wimpern.
    »Nein. Er ist vor kurzem mit einer Fünfundzwanzig jährigen ausgegangen, bis sie zur Vernunft gekommen ist. Mum geht hin und wieder abends mit ihm essen. Jetzt, wo sie mit Lawrence verheiratet ist, geht sie mit Dad aus.«
    Der Taxifahrer klopfte ungeduldig aufs Lenkrad. Dann beugte er sich wieder zum Fenster auf der Beifahrerseite. »Es dauert nicht mehr lange«, sagte ich flehentlich und dachte, du Mistkerl, dein Trinkgeld hast du dir verscherzt, Kumpel.
    »Wie geht‘s Frances?«, fragte ich. »Was macht sie jetzt?«
    »Sie lebt in Brisbane.«
    »Brisbane?« Ich hätte mir nie vorgestellt, dass sie sich weit weg von zu Hause verirren würde, aber andererseits, nachdem das Haus in der Balmoral Road verkauft war, hatte sie ja kein Zuhause mehr gehabt.
    »Sie ist mit einem Australier namens Neville verheiratet. Sie haben drei Kinder und ein paar Hunde.«
    »Neville«, sagte

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